Die 2025 der Öffentlichkeit präsentierte Studie „ProBACH“, eines interdisziplinären Forschungsteams aus Institute of Building Research& Innovation, Weatherpark, BOKU SIG (Siedlungswasserbau, Industriewasserwirtschaft und Gewässerschutz) und BOKU IBLB für Wasserbau und Ingenieurbiologie sieht in einer Wiederherstellung der bis ins 19. Jahrhundert eingewölbten Wienerwaldbäche großes Potenzial. Das letzte große Hochwasser in Wien 2024 hat die enge Verflechtung der Stadt mit seinen Gewässern in Erinnerung gerufen. Die Bedeutung des Wienflusses, des Donaukanals sowie der Neuen Donau und der Donauinsel für die Überflutungssicherheit wurden augenscheinlich. Weniger bekannt sind die Wienerwaldbäche, die einst auch im bebauten Stadtgebiet an der Oberfläche dahinplätscherten. Sie wurden ab 1840 aus Anlass der Choleraepidemie unter die Erde verlegt und in die Kanalisation eingegliedert. „ProBACH“ zeigt, dass es durchaus möglich wäre, das Bachwasser, welches heute unterirdisch entlang bekannter Straßenläufe von Westen in Richtung Donau fließt, wieder aus dem Kanal zu entkoppeln und an die Oberfläche zu holen. In Zeiten rapide voranschreitender Klimaveränderungen und damit verbundener sommerlicher Überhitzung der Stadt wäre dies ein mutiger, schlüssiger Schritt, der für bessere Aufenthalts- und Luftqualität sorgen und den Wohlfühlfaktor vor allem in grünraumarmen Bezirken drastisch erhöhen könnte. Im Rahmen der 1. Klima Biennale Wien im Sommer 2024 wurde auf dem Areal des ehemaligen Nordwestbahnhofs eine temporäre Demonstrationsstrecke installiert. Diese ermöglichte es den Besuchern, trotz kleinen Umfangs der Installation, spürbare positive Auswirkungen auf das unmittelbare Mikroklima zu erleben. Wir wollten von der Projektverantwortlichen Renate Hammer vom Institute of Building Research & Innovation mehr zum Projekt erfahren.
Wie kam es zu ProBACH?
Die Wiener Wasserläufe sind für mich seit etwa 30 Jahren ein wichtiges Thema. Ich habe während meines Studiums am Projekt einer naturnäheren Gestaltung bzw. Benutzbarmachung von Wienfluss- und Donaukanal mitarbeiten dürfen und mir damals schon mehr Offenheit für dieses Vorhaben gewünscht. „ProBACH“ gingen auch etliche Forschungsprojekte zu möglichen Temperaturentwicklungen an unterschiedlichen Wiener Standorten voraus und es zeigt sich, dass wir auf eine deutliche Temperaturerhöhung zusteuern. Rekordsommer wie wir ihn 2024 erlebt haben werden häufiger. Wir haben uns daher gefragt, wie realistisch eine klimarelevante Nutzung der einstigen Wienerwaldbäche wäre – in welcher Form auch immer.
Wie sind die Reaktionen auf diese Überlegungen?
Häufig wird uns völlige Naivität vorgeworfen. In Wien gibt es in weiten Gebieten ein Mischsystem, in dem Grauwasser etwa aus der Dusche, Schwarzwasser aus der Toilette sowie Regenwasser und gegebenen Falls auch Bachwasser in einem Kanal geführt werden. Angesichts steigender Hitze, Starkregenereignissen sowie Trockenphasen und einer wachsenden Bevölkerung sollten wir unsere Wasserressourcen effizienter nutzen. Das Bachwasser, Regenwasser und zum Teil auch Brunnenwasser bergen ein vielfältiges Potenzial. Daher haben wir uns genauer angesehen, was die Reaktivierung eines oberflächlichen Wasserlaufs städtebaulich und stadträumlich bedeuten würde.
Es wäre also möglich, diese Bäche zum Teil erneut an die Oberfläche zu holen?
Die historischen Bachverläufe sind zum Teil in der Stadtstruktur deutlich zu erkennen und von den Einzugsgebieten bis zu den ehemaligen Einmündungspunkten in den Donaukanal oder den Wienfluss gut ablesbar. Wasserläufe wieder auf der Oberfläche einzuführen wäre in vielen Bereichen also durchaus machbar.
Wie kann eine Umsetzung erfolgen?
Mit der auf der Klima Biennale 2024 eingerichteten Demostrecke wollten wir einen Bach in städtischem Umfeld erlebbar machen. Gleichzeitig konnten wir Tests durchführen, etwa die Wasserqualität betreffend, speziell die Veränderung der hygienischen Bedingungen über den Zeitverlauf. In einem Becken konnten wir das Zusammenspiel von Pflanzen, Wasser und Schatten bei unterschiedlichen Wetterlagen untersuchen; Wieviel Wasser die Pflanzen benötigen und wieviel direkt aus dem Wasserkörper verdunstet. Über eine Wetterstation wurden Lufttemperatur, Windgeschwindigkeiten, Luftfeuchtigkeit, Niederschlag und Solarstrahlung aufgezeichnet. So konnten gefühlte und tatsächliche Temperaturen auf den umgebenden versiegelten Flächen und am Bauchlauf erhoben werden.

Mit welchem Ergebnis?
Es ist erstaunlich, welcher empfundene Kühleffekt vom Wasser ausgeht, auch bei geringen Wassertiefen. Das Wasser wurde dabei über längere Zeitabschnitte im Kreis geführt und die Erwärmung gemessen. Eines der drei Becken war zum Planschen benützbar und wurde von Kindern und Erwachsenen stark frequentiert. Dort wurde das Wasser aus Gründen der Hygiene täglich gewechselt. Aber auch Vögel und Insekten konnten wir häufig am Bach beobachten.
Wie wurde das Forschungsprojekt finanziert?
Es wurde aus Mitteln des Klima- und Energiefonds gefördert und im Rahmen des Programms „Smart Cities Demo – Living Urban Innovation 2019“ durchgeführt. Unser ursprüngliches Anliegen war es, die Demostrecke im Stadtraum zu realisieren, was aber mit vielen technischen und rechtliche Herausforderungen verbunden gewesen wäre. Im Kontext der Veranstaltung der Klima Biennale war die Umsetzung deutlich unkomplizierter. Die Einbettung in einen realen städtischen Umraum war dennoch gegeben, und es konnten viele Besucherinnen und Besucher angesprochen werden.
Und wie stehen die Chancen für eine dauerhafte Umsetzung von ProBACH im Stadtraum?
Durchaus gut. Durch die Demostrecke konnte anschaulich vermittelt werden, welche Verbesserungen des Straßenraums erzielt werden können, was die Schwelle für Umsetzungen deutlich reduzieren kann. Daher freut es uns sehr, dass wir in einer Gemeinde im Umland von Wien in einem Folgeprojekt einen Schritt weitergehen können. Dort werden wir dieses Jahr die Machbarkeit einer Reaktivierung eines oberflächlichen Wasserlaufs anstelle eines Parkplatzes im Ortszentrum prüfen.
Gibt es in Wien Gebiete, die sich für oberflächliche Wasserläufe besonders eignen?
Aus städtebaulicher Sicht etwa in Alt-Ottakring, wo der Straßenverlauf den ehemaligen Bachmeander noch gut erkennen lässt und dort mehr Straßenraum zur Verfügung steht. Aus mikroklimatischer Sicht in den dicht bebauten Gebieten nahe des Gürtels, wo die sommerliche Überhitzung besonders stark ist und zudem vulnerable Bevölkerungsgruppen wohnen. Aus hydrologischer Sicht, entlang des ehemaligen Verlaufs des Alsbachs, weil die Zubringerbäche dort am meisten Wasser führen.

In die Umsetzung des Projekts war auch die Stadt Wien involviert, die diesem aber auch skeptisch gegenübersteht? Ist eine Realisierung wirklich zu kompliziert?
Unsere Unternehmenspartner „Staud“, mit seinem Produktionsstandort im 16 Bezirk, konnte in der beschriebenen Idee einer zumindest streckenweisen Wiedererrichtung eines neuen Ottakringerbachs viel abgewinnen. Auch die damalige Bezirksvorstehung hatte Interesse gezeigt. Die Umsetzung wird teils aber auch als vorwiegend romantische Idee angesehen. Schließlich wurden wir von Seiten der Stadt bei der Umsetzung von „ProBACH“ etwa durch Pflanzenspenden Anlieferung und Rückholung tatkräftig unterstützt. Gebaute Beispiel zeigen, dass die Wiedereinführung von städtischen Bächen möglich ist. „Stadt“ neu zu denken ist vor allem angesichts des Klimawandels notwendig. Wem sollen städtische Freiräume zur Verfügung stehen und wie können sie bespielt werden? Das sehen wechselnde Generationen – auch von Planer:innen – durchaus sehr unterschiedlich. Die Bedeutung von Bepflanzung hat sich grundlegend verändert, speziell die Gestaltung städtischer Freiräume kann nicht nur nach ästhetischen Gesichtspunkten ausgehend vom tradierten Bild des urbanen Platzes erfolgen.
Straßenraum in der lebenswerten verdichteten Stadt sollte in Hinsicht auf die Mobilität möglichst für alle gleichwertig und ungefährlich benutzbar sein und über das ganze Jahr ein vertretbares Klima aufweisen. Renate Hammer
Unverständlich, nicht zuletzt auch angesichts der drohenden Klimaproblematik in den Städten.
Es geht um Gewohntes, wie die Straße als Fahrbahn einerseits und andererseits um einen neuen Zugang. Junge Generationen identifizieren sich viel weniger mit dem Auto und für einen städtischen Wasserlauf Parkplätzen zu opfern, ist für sie kein Thema. Jugendliche zeigen auch an unserer Demotrecke einen anderen Zugang zum öffentlichen Raum und nutzen ihn als gemeinschaftlichen Ort.
Wie könnte im Planungsprozess auf klimatische Veränderungen im städtebaulichen Kontext reagiert werden?
Aktuell ist es in Wien im Sommer so heiß wie in Rom zur Zeit meiner Maturareise, und es ist davon auszugehen, dass Hitze und Luftfeuchtigkeit weiter ansteigen. Es muss daher überlegt werden, wie öffentliche Freiräume umgestaltet und wie Planungsprozesse angesichts des hohen Anpassungsdrucks optimiert werden können. Das eröffnet Spielräume für Maßnahmen, die bisher noch nicht in Betracht gezogen wurden. Auch ProBACH zeigt Möglichkeit auf für eine tiefgreifende, und gleichzeitig sehr reizvolle Veränderung.
Dass es hier dringend ein Umdenken braucht, muss doch auch der Stadtpolitik klar sein.
Fachleute wissen, wie man Dinge weiterentwickeln kann, unter einem architektonisch-ästhetischen Gesichtspunkt ebenso wie unter jenem der Stadtökologie und Stadtklimatologie. Es geht darum, zu koordinieren und zu ermöglichen. Bäume in flache Schalen zu stellen und mit Trinkwasser zu gießen ist langfristig keine Lösung. Das ist glaube ich Konsens.
Um uns an den Klimawandel anzupassen, und das Leben im städtischen Außenraum auch im Sommer zu ermöglichen, wären langgestreckte Strukturen wie Bäche speziell auch im Zusammenspiel mit Wind wirkungsvoll. Renate Hammer
Die Klimaveränderungen werden das Problem noch verschärfen.
Man kann und muss wohl auch technisch unterstützen. Etwa durch das Schwammstadtprinzip oder ähnliches genügend Wurzelraum für die Pflanzen zur Verfügung zu stellen und dort auch Wasserressourcen wie Bach- und Regenwasser nutzen. In das System lassen sich oberflächliche Wasserläufe gut integrieren.
Ist in Zukunft ein Wassermangel zu befürchten?
Laut den Szenarien des Klimawandels für Österreich wären für Wien gleichbleibende, vielleicht sogar geringfügig zunehmende Niederschlagsmengen zu erwarten, bei ungleichmäßigerer Verteilung. Aber der Regen fällt häufig auf versiegelte oft auch stark aufgeheizte Oberflächen und verdunstet rasch wieder. Entscheidend wird sein, ob Niederschläge in den Boden einsickern können, um zu Pflanzen oder in den Grundwasserkörper zu gelangen. Ein anderes Szenario zeigt, dass die atlantische Umwälzströmungen reduziert würden oder sogar zum Erliegen kommen könnten. Das lässt wiederum ein zentral-kontinentales Klima mit längeren Trockenphasen erwarten. Man müsste folglich die Kapazität von Wasserreservoiren erhöhen, was tatsächlich gerade geschieht, mit (Trink-)Wasser grundsätzlich sparsam umgehen und sich auch auf Mangelsituationen einstellen können. Angesichts dessen sind Maßnahmen, die den Wasserrückhalt ermöglichen, etwa geeignet dimensionierte Schwammstadtsysteme dringlich umzusetzen.
Wo zurzeit gerade umfassend Stadtraum umgebaut und umgeplant wird, könnte man das System doch längst anwenden.
Das ist auch eine Kostenfrage. Hier ließen sich Synergien finden. Wir bauen Fernwärme aus, wollen weg vom Erdgas, trassieren U-Bahnlinien. Wenn man in dem Zusammenhang fragt: Was kostet ein Meter Bach? Vergleichsweise wenig, wenn die Errichtung mit der „Neuorganisation“ diverser Infrastrukturen im Untergrund gemeinsam durchgeführt wird.

Wie könnte das aussehen, wo sollten Leitungen und Rohre verlaufen?
Wo das in Wien Sinn machen könnte, ist stadträumlich vorgezeichnet, weil die vormaligen Verläufe von Bächen die Bebauung nachhaltig geprägt haben. Um uns an den Klimawandel anzupassen, und das Leben im städtischen Außenraum auch im Sommer zu ermöglichen, wären langgestreckte Strukturen wie Bäche speziell auch im Zusammenspiel mit Wind wirkungsvoll.
Angesichts weiter steigender Bodenversiegelungen ist auch Verdichtung in den Städten ein Thema, aber auch eine notwendige Entsiegelung und Renaturierung.
Das ist eine sehr schwierige Diskussion, die wir auch im Zuge von ProBACH immer wieder zu führen haben. Was bedeutet es tatsächlich, wenn nach wie vor viele Menschen in die Städte ziehen?
Nicht zuletzt aufgrund der Dichte und der klimatologischen Veränderungen gilt es Gebäude und Außenraum gemeinsam zu betrachten. Außenraum hat zunehmenden Stellenwert, vor allem bei hoher Dichte. Lebensqualität hängt hier entscheidend von der Nutzbarkeit von Freiflächen und Grünräumen ab.
Grünblick mit Terrasse oder Balkon wird allerdings teurer verkauft.
Es geht in dem Fall nicht um private Aussenräume sondern um die Straße. Die darf kein Unraum sein, der auf zwei betonierte oder asphaltierte Gehsteige, Park- und Fahrspuren reduziert ist. Straßenraum in der lebenswerten verdichteten Stadt sollte in Hinsicht auf die Mobilität möglichst für alle gleichwertig und ungefährlich benutzbar sein und über das ganze Jahr ein vertretbares Klima aufweisen.
ProBACH wäre eine Lösung, um dicht bebauten Stadtraum aufzuwerten.
Eine zumindest abschnittsweise Wiederherstellung von Stadtbächen, die sich durch die einstigen Vororte und die gürtelnahen klimatologischen Brennpunkte hindurch, über die Vorstädte bis an den Ring und innerstädtisch über Plätze wie den Minoritenplatz oder den Concordiaplatz erstrecken, böten eine große, auch soziale Chance – eine ganz neue Möglichkeit der Verbindung und Mischung.
Und ein Pilotprojekt im Stadtraum würde zeigen, was das bedeuten könnte.
In unserem Folgeprojekt werden wir genau das untersuchen. Die angestrebte Realisierung kann Leuchtturm sein und viele Akteur:innen motivieren, in ihren Gemeinden ähnliches zu versuchen, um den Straßenraum wieder ein Stück weit lebenswerter und klimaresilienter zu machen.
ProBACH
Die Projektstudie ProBACH entwickelt im Zeitraum 2021 bis 2025 Lösungen zur abschnittsweisen, sozial- und klima-wirksamen Reaktivierung und Neuherstellung von ehemaligen Bachläufen im heute dicht verbauten städtischen Kontext und setzt diese innerhalb der Projektlaufzeit exemplarisch um.
Ausgangslage ist die steigende Notwendigkeit, städtische Außenräume klimawandel-resistent, mit hoher Aufenthaltsqualität und einer sozial inklusiven Komponente zu gestalten. Naturräume mit ökologisch vielfältiger Bepflanzung, in Verbindung mit offenen Wasserläufen und Regenwassermanagement können dazu einen wertvollen Beitrag liefern.
www.plansinn.at/probach