Mit ihrem Projekt Antarctic Resolutlion mahnt die italienische Architektin Giulia Foscari die zentrale Bedeutung der Antarktis für das globale Ökosystem ein.
10 Prozent der Landmasse, 70 Prozent des Süßwassers und 90 Prozent des Eises des Planeten Erde entfallen auf die Antarktis. Sie birgt wichtige wissenschaftliche Daten über die Klimageschichte unseres Planeten und wird damit zur unersetzbaren Grundlage notwendiger umweltpolitischer Maßnahmen. Gleichzeitig birgt sie auch die größte Bedrohung für Küstensiedlungen in aller Welt: Schmelzen ihre riesigen Eismassen, steigt der Meeresspiegel bedrohlich.
Bewusstsein schaffen
Die Antarctic Resolution, erschienen als 1.000 Seiten umfassendes Buch, ist eine transnationale und multidisziplinäre kollektive von Giulia Foscari / Unless kuratierte Initiative, die sich zum Ziel gesetzt hat, das Bewusstsein für die zentrale Bedeutung der Antarktis im globalen Ökosystem zu schärfen. Sie möchte die Öffentlichkeit mobilisieren, sich für die Antarktis einzusetzen und für antarktische Resolutionen zu werben.
Veröffentlicht wurde die Resolution anlässlich des zweihundertsten Jahrestages der ersten aufgezeichneten Landung von Menschen auf dem Kontinent.
Potenziale erkennen
Um mehr Aufmerksamkeit auf die Antarktis zu lenken rief Giulia Foscari Widmann Rezzonico / Unless die „Antarctic Resolution“ ins Leben. Sie soll für die Antarktis, den einzigen Kontinent ohne einheimische Bevölkerung, als eines unserer wenigen globalen Gemeingüter eine Interessenvertretung begründen. Foscari´s Botschaft lautet: „Der Schutz der Antarktis, ist der Schutz unserer eigenen Spezies“.
Verfasst wurde die Erklärung von 150 führenden Antarktis-Expert:innen, herausgegeben hat sie der Lars Müller Verlag. Die enzyklopädische Publikation fokussiert auf das wissenschaftliche Potenzial des Kontinents, seine aktuelle geopolitische Bedeutung und sein außergewöhnliches Besiedlungsmodell und beinhaltet zahlreiche wissenschaftliche Studien, fotografische Essays, datengestützte Infografiken, Kartografien und Architekturzeichnungen.
„Der Schutz der Antarktis, ist der Schutz unserer eigenen Spezies!“
Giulia Foscari
Verantwortung übernehmen
Das kilometerdicke Eisschild der Antarktis – eines Kontinents, der 1,4-mal so groß ist wie Europa – schmilzt mit alarmierender Geschwindigkeit: bereits jetzt ergießen sich Wassermassen in einem Umfang von 200 olympischen Schwimmbecken pro Minute ins Meer. (NB: Ein olympisches Schwimmbecken fasst 2,5 Mio Liter Wasser). Das vollständige Abschmelzen des Eises der Antarktis würde einen Anstieg des Meeresspiegels weltweit um 60 Meter bedeuten und die größte Migrationsbewegung auslösen, die die Menschheit je erlebt hat. Trotz dieser grundlegenden Abhängigkeit der Zukunft der Bewohnbarkeit unseres Planeten vom Schicksal der Antarktis, wird unser siebter Kontinent sträflich vernachlässigt. Nicht zuletzt ist die Antarktis auch umkämpftes Territorium, denn ihr Reichtum an Ressourcen weckt Begehrlichkeiten.
Gemeinsam stark
Zu den nötigen Schritten und Maßnahmen zur Erreichung dieses Ziels sagt Giulia Foscari: „Antarctic Resolution wurde mit dem doppelten Ziel konzipiert, ein hochauflösendes Bild unseres siebten Kontinents zu erstellen und die Menschen auf dem Planeten zu mobilisieren, um für Antarktis-Resolutionen zu werben und diese zu fordern, da es sich zweifellos um ein globales Gemeingut handelt, das im Interesse der Gesellschaft als Ganzes gerecht verwaltet werden sollte. (…) Es ist es nicht so einfach zu definieren, welches die besten Strategien sind, um die breite Öffentlichkeit zu aktivieren, sich mit einem weit entfernten Land zu beschäftigen, das scheinbar nichts mit ihnen zu tun hat“.
„Wir glauben fest an die Kraft der künstlerischen Produktion als Katalysator für globales Handeln, die Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse und die Beschleunigung des Prozesses der Demokratisierung von Daten.“
Giulia Foscari
Mit ihrem Projekt erhebt Foscari die Stimme für unseren einzigen Kontinent ohne einheimische Bevölkerung und setzt sich für drei Resolutionen ein: „ein sofortiges und dauerhaftes Verbot der Kohlenwasserstoffförderung in der Antarktis; die Verpflichtung, internationale Forschungsstationen auf dem Kontinent zu errichten, im Gegensatz zu den derzeit zahlreichen, meist uneffizienten nationalen Außenposten; und die Einrichtung von drei Meeresschutzgebieten im Südpolarmeer, der größten Kohlenstoffsenke des Planeten Erde“.
Foscari ist sich nicht sicher, wie eine „erfolgreiche“ Strategie aussehen könnte, um sicherzustellen, dass diese Belange in der geopolitischen Arena höchster diplomatischer Kreise auf Resonanz stoßen und letztendlich zu tatsächlichen Veränderungen in der Politik und der Regierungsführung führen. Aber sie ist überzeugt, dass man sowohl auf globaler Ebene agieren muss – indem man eine Bewegung ins Leben ruft, die stark genug ist, um Druck auf die Entscheidungsgremien auszuüben – als auch innerhalb der geopolitischen Sphäre – indem man mit der nötigen Geduld und Entschlossenheit strategische Allianzen innerhalb der Mitgliedsstaaten des Antarktisvertrages zur Verteidigung der Generationengerechtigkeit aufbaut.
Das Projekt wurde als Aufruf zum Handeln konzipiert – ein Handeln, das Foscari für unaufschiebbar hält, „angesichts der Zunahme von durch den Klimawandel verursachten planetarischen Katastrophen und den jüngsten politischen Unruhen, die das erschreckende Potenzial haben, die nationalen Interessen auf die Ausbeutung der antarktischen Ressourcen zu lenken“.
Ideen weitertragen
Eine der Anerkennungen dieser Initiative erfuhr das Projekt „Antarctic Resolution“ etwa im Rahmen der diesjährigen Ausschreibung des Starts Prize 2022, einer Initiative der Europäischen Kommission, die jährlich ausgeschrieben wird und mit insgesamt 40.000 Euro dotiert ist. Prämiert wurde die Antarctic Resolution mit dem Preis für innovative Projekte an der Schnittstelle von Wissenschaft, Technologie und Kunst, die das Potenzial haben, einen signifikanten Einfluss auf wirtschaftliche und soziale Innovationen in Europa auszuüben.
Unter den insgesamt 1.499 Einreichungen aus 96 Ländern wurde die „Antarctic Resolution“ von Giulia Foscari/Unless https://una-unless.org/en/ mit dem Starts Grand Prize – Innovative Collaboration ausgezeichnet.
Foscari „eröffnet neue Perspektiven und Einsichten, indem sie mithilfe der Mittel und Kräfte der Kunst als Forschungspraxis zur Sensibilisierung und Betroffenheit, ebenso wie zu Teilnahme und Engagement anzuregen sucht“, so das Statement der Jury.
Anlässlich des 30-jährigen Bestehens des Umweltschutzprotokolls zum Antarktisvertrag (Madrid, Spanien) wurde das Projekt bereits 2021 im Rahmen der 17. Internationalen Architekturbiennale in Venedig sowie im Madrider Museo Nacional Thyssen-Bornemisza präsentiert.
Im Rahmen des 44. Antarctic Treaty Consultative Meeting (ATCM) in Berlin im Juni 2022 startete die Kampagne „Speak Up for Antarctica Now“. Den ATCM-Delegierten aller 29 entscheidungsbefugten Nationen wurden aufgefordert, ihre Verantwortung als Bürger:innen der Antarktis wahrzunehmen und für Generationengerechtigkeit einzutreten.
Dieses Projekt ebenso wie die weiteren Gewinner:innen-Projekte des Starts Prize 2022 kann von 7. bis 11. September 2022 am Ars Electronica Festival 2022 in Linz erlebt werden. www.ars.electronica.art
Auf der Frankfurter Buchmesse am 21. Oktober dieses Jahres widmet sich ausserdem ein eigener Starts Day diesem Preis. Auch die Ausstellung „More than Planet“, die noch bis zum 23. Dezember 2022 im Observatory Leiden zu sehen ist, zeigt Arbeiten aus dem Starts Prize Pool von Territorial Agency and Forensic Architecture.
Giulia Foscari Widmann Rezzonico (IT) ist als Architektin, Forscherin und Aktivistin in Europa, Asien und Amerika tätig. Sie ist Gründerin von UNLESS, einer gemeinnützigen Agentur für den Wandel, und deren Alter Ego UNA, einem Architekturbüro, das sich auf kulturelle Projekte konzentriert. Foscari lehrte an der Universität Hongkong sowie an der Architectural Association London. Die Arbeiten von UNA und UNLESS waren auf zahlreichen internationalen Ausstellungen zu sehen. Sie ist Autorin von Elements of Venice und Herausgeberin von Antarctic Resolution (Lars Müller Publishers). Foscari ist Mitglied des Internationalen Rates des MoMA, Vorstandsmitglied der Fondazione Musei Civici di Venezia und der Antarctic Southern Ocean Coalition.
UNLESS ist eine Agentur für den Wandel. Sie ist eine Non-Profit-Organisation, die sich der transnationalen Erforschung extremer Umgebungen widmet, die von der planetarischen Krise bedroht sind. 2019 von der Architektin Giulia Foscari gegründet und arbeitet die Agentur eng mit einem großen Netzwerk multidisziplinärer Spezialisten auf allen sieben Kontinenten zusammen.
Giulia Foscari / UNLESS (Hrg.): Antarctic Resolution
Herausgegeben von Giulia Foscari / UNLESS
Lars Müller Publishers GmbH, Zürich 2021Englisch, 992 Seiten, 1.255 Illustrationen, Hardcover, 65,00 €
ISBN 978-3-03778-640-6