Die Arbeiten der japanischen Künstlerin Chiharu Shiota entstehen oft inspiriert von persönlichen Erfahrungen oder Gefühlen zu universellen menschlichen Fragestellungen, zu Leben und Tod, zu Beziehungen. Ihre raumgreifende Installation „Wo sind wir jetzt?“ im Stollen des ehemaligen Konzentrationslagers Ebensee erzählt von Menschenverachtung, Ausbeutung und Tötung Unschuldiger, zur Entwicklung neuartiger Waffen. Sie erzählt von der grausamen Kollaboration von Wissenschaft und technischer Errungenschaft mit Strategien der Vernichtung und von Krieg.
Nur die Erinnerung ermöglicht es dem Menschen aus dieser Menschenverachtung, der fatalen Verknüpfung von Zerstörung und „Fortschritt“ zu entkommen. Der Stollen in Ebensee und das daran anknüpfende ehemalige Konzentrationslager sind Orte des Gedenkens.
Je länger ich im ehemaligen Konzentrationslager Ebensee stehe und darüber erfahre, desto mehr drängt sich mir die Frage auf, worum es bei der menschlichen Existenz überhaupt geht. Was ist das für eine Welt, in der wir leben?
Chiharu Shiota
Auf Einladung der Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut 2024 zeigt die japanische Künstlerin Chiharu Shiota im Rahmen der Programmlinie „Macht und Tradition“ im Stollen des ehemaligen Konzentrationslagers Ebensee die beeindruckende, raumgreifende Installation „Wo sind wir jetzt?“ auf etwa 70 Metern Länge. 25 überlebensgroße Kleider sind zwischen roten Seilen gefangen, die die Figuren unscharf verschwimmen lassen und wie durch zarten Nebel verschleiern. Ein Stück „Erinnerungskultur“. Das genaue Erkennen von Macht und Tradition, deren Wechselwirkungen und Beeinflussungen ist Voraussetzung, lokale und globale Identitäten in ihrem Wandel zu verstehen und zu respektieren.
„In meiner Kunst befasse ich mich mit der menschlichen Existenz. Ich verwende Alltagsgegenstände, die von Menschen benutzt wurden und möchte die Erinnerung der Existenz ihrer Besitzer:innen zum Ausdruck bringen. Für die Installation bilden die Kleider die Form eines Körpers ab und füllen den Raum mit einer nicht greifbaren Anwesenheit. Ich arbeite schon lange mit dem Konzept der „Anwesenheit in Abwesenheit“ und finde es interessant, welche Assoziation die Leere bei Besucher:innen hervorruft“, sagt Chiharu Shiota.
Konzepte wie Erinnerung und Existenz versucht Shiota zu begreifen. Sie sammelt alltägliche Gegenstände wie Schuhe, Schlüssel, Betten, Stühle und Kleidungsstücke und verknüpft sie in Fadenstrukturen. Mit ihren Installationen schafft sie ein Gefühl der „Anwesenheit in Abwesenheit“. Shiota sieht unsere Kleidung wie eine zweite Haut. Unsere dritte Haut sei das Gebäude, das uns vor der Welt abschirmt, sagt sie. Unsere Kleidung, so meint sie, hätte mit Schutz, aber auch Normen zu tun.
Unser Inneres beinhaltet auch Eigenschaften, die wir uns nicht ausgesucht haben. Familie, Religion, Kultur, all das sind die Grenzen, innerhalb derer wir uns bewegen oder entscheiden sie zu durchbrechen.
Chiharu Shiota
Chiharu Shiota vernetzt Räume und Welten, sie schafft Bezüge zur Geschichte und zum Moment des heutigen Seins. Im Zentrum ihres Schaffens steht die menschliche Existenz. Das große Thema wie man sich an sie erinnern kann, ist ‚Anwesenheit in Abwesenheit‘ – eine Spurensuche nach dem, was vom Menschen übrigbleibt. Wie ist die Leere zu verstehen, die sein Verschwinden erzeugt? Welche Bilder, welche Assoziationen sind notwendig, um dem Verblassen entgegenzutreten? Die schwebenden Kleider erinnern an die Existenz von Körpern und Menschen, sie füllen den Raum mit einer nicht greifbaren Anwesenheit und schimmern durch ein Netzwerk an Seilen, die für Verstrickung und unabdingbares Miteinander stehen – nicht greifbar und doch da, vermitteln sie eine Ahnung von der Zerbrechlichkeit menschlichen Seins und der Fragilität seiner Würde, die es zu wahren gilt.
Bis 30. September 2024
Ort: KZ-Gedenkstollen Ebensee, Finkerleitenstraße 40, 4802 Ebensee
www.chiharu-shiota.com/