Der diesjährige Julius Posener Architekturpreis 2024 ging an den Filmemacher Wim Wenders, der bereits mit dem Ehrenbären der Berlinale ausgezeichnet und mehrfach für den Oscar nominiert wurde, zuletzt für Perfect Days, einen Film über einen Toilettenreiniger in Japan, in dem die außergewöhnliche Architektur der öffentlichen Toilettenanlagen in Japan eine Hauptrolle spielt. Der Deutsche Werkbund hat nun in Kooperation mit der Architektenkammer Berlin Wenders mit dem renommierten Architekturpreis für Architekturvermittlung ausgezeichnet, ein Preis, der die Notwendigkeit besonders für die Qualität von Architektur zu werben, hervorhebt. Wieso erhält aber ein Filmregisseur gerade ein Architekturpreis? Jan Krause, der erste Vorsitzende des Werkbunds und Professor für Architektur und Architekturvermittlung an der Hochschule Bochum begründete die Wahl in seiner Laudatio damit, dass Wim Wenders ein wahrer Raumerzähler sei und durch seine Filme – so die Jury – einen einzigartigen Beitrag zur Wahrnehmung und Vermittlung von Architektur und Stadträumen leiste.
Sehnsuchtsort Stadt
Architektur sei die Bühne des Lebens, meint Wim Wenders. Orte erzählten etwas vom sozialen Gefüge, in dem sich die Protagonist:innen bewegen. Meist besucht Wim Wenders zuerst den Ort, um dann erst die Geschichte zu entwickeln. „Architektur ist für mich auch der Urgrund von Filmemachen. Meine Filme kommen fast alle aus Orten, sind aus einer Zuneigung zu Orten entstanden, aus einer Neugier, über Orte mehr zu erfahren. Welche Geschichte könnte oder muss an diesem Ort spielen, oder dass eine Geschichte nirgends anders hätte spielen können als an dem einen Ort, darauf war ich immer versessen, das habe ich immer gewollt und deswegen sind Orte, Städte, Häuser, Landschaften auch immer Miterzähler in meinen Filmen“, erzählt Wenders anlässlich der Verleihung in einem Interview der Journalistin Cornelia Wegerhoff vom WDR.
Meine Filme kommen fast alle aus Orten, sind aus einer Zuneigung zu Orten entstanden, aus einer Neugier, über Orte mehr zu erfahren.
Wim Wenders
Abwesenheit von Architektur
Weshalb diese Auseinandersetzung mit den Räumen bei Wim Wender nochmal intensiver ist als bei anderen? Wenders verrät, das hätte mit seiner Heimatstadt Düsseldorf zu tun, wo er 1945 geboren wurde und aufgewachsen ist, zu einem Zeitpunkt wo alles in Schutt und Asche lag. Er entdeckte Bauwerke in Zeitungen, vor allem die in dieser Zeit inmitten des Dschungels neu entstehende Hauptstadt Brasiliens Brasilia. Für Wim Wenders entstand Kino im Kopf: „Als kleiner Junge habe ich in jeder Zeitung, in der etwas über Brasilia stand alles ausgeschnitten und die Wände meines Zimmers damit tapeziert. Es wäre alles nicht so gekommen, wenn ich nicht in dieser Abwesenheit von Stadt und Stadtkultur und Architektur aufgewachsen wäre. Dieser Sehnsuchtsort Stadt hat mich sehr geprägt.“
Architektur ist in Wim Wenders Filmen omnipräsent, ob in Der Himmel über Berlin, Buena Vista Social Club, oder in seinem letzten Film The Perfect Days, einen Film über einen Toilettenreiniger in Japan, in dem die außergewöhnliche Architektur der öffentlichen Toilettenanlagen in Japan eine Hauptrolle spielt.
„Ich halte es für wichtig, dass Architekturstudent:innen lernen, auch über Raumqualitäten zu erzählen und nicht nur über Konstruktionen. Das ist ein wichtiger Teil der Architekturausbildung, die Atmosphäre, die Qualitäten, das Raumgefühl und die Szenarien, zu beschreiben, was in diesem Raum passieren kann.“ Zurzeit arbeitet Wim Wenders an einem Dokumentarfilm über die Bauten des Schweizer Architekten Peter Zumthor, auch über seinen Kölner Bau das Kolumba Museum des Erzbistums, errichtet über den Ruinen einer kriegszerstörten gotischen Kirche, und ein für Wim Wenders besonders spiritueller Ort. „Das Kolumba war immer schon mein Lieblingsmuseum, überhaupt gibt es kein schöneres Museum“, sagt Wenders. „Wenn ich den Blues habe oder irgendwie nicht klarkomme, gehe ich ins Kolumba, dann geht es mir wieder gut“. Der Film über Peter Zumthor kommt 2026 in die Kinos.
Julius Posener (1904-1996) war Architekt, Architekturhistoriker, Kritiker, Autor, Hochschullehrer und Vorsitzender des Deutschen Werkbundes. Sein Schaffen ist geprägt von einer grundsätzlichen Zuneigung zur Architektur, einem großen Interesse für die Wirkung, die sie auf den Menschen hat und für die Umstände ihres Entstehens.
Der Berliner Werkbund vergibt die Auszeichnung seit 2016 an Persönlichkeiten, die durch Wort, Schrift und Bild im Geist von Julius Posener öffentlich wirken und dessen komplexe und humanistische Betrachtung der Architektur und der Stadt teilen. Bisher wurden ausgezeichnet: Preisträgerinnen und Kenneth Frampton (2016), Jan Gehl (2018), Annemarie Jaeggi (2020) und Angelika Fitz (2022).
Die Mitglieder der Jury für den Julius Posener Architekturpreis 2024 waren Katharina Benjamin (Kontextur), Jörg Gleiter (TU Berlin), Tim Heide (Deutscher Werkbund Berlin), Theresa Keilhacker (Architektenkammer Berlin), Doris Kleilein (jovis Verlag), Jan R. Krause (Deutscher Werkbund), Riklef Rambow (KIT), und Katrin Voermanek (Deutscher Werkbund Berlin).
Wim Wenders (geb. 1945 in Düsseldorf) wurde als wichtiger Protagonist des Neuen Deutschen Films der 1970er Jahre international bekannt. Heute gilt er als einer der bedeutendsten Vertreter des Weltkinos der Gegenwart. Das Werk des Drehbuchautors, Regisseurs, Produzenten, Photographen und Buchautors umfasst eine ganze Reiher preisgekrönter Spiel- und Dokumentarfilme, Photoausstellungen und zahlreiche Bildbände, Filmbücher und Textsammlungen. Wenders lebt und arbeitet mit seiner Frau, der Photokünstlerin Donata Wenders, in Berlin.