Passend zum Themenschwerpunkt der diesjährigen Architekturbiennale Venedig hat der internationale DIVIA (Diversity in Architecture) Award 2023 das Licht der Welt erblickt. Er soll die Sichtbarkeit von Frauen in der Architekturfördern. Ins Leben gerufen hat diesen Preis Ursula Schwitalla, die vor allem für ihr Buch „Frauen in der Architektur“ breite internationale Bekanntheit erlangte, und mit diesem biennal geplanten Preis nun der Inklusion in der Architektur mehr Gehör verschaffen will.
Die Vorgeschichte
Ursula Schwitalla ist ein kritischer, weltoffener Geist mit großem Interesse für Architektur. Sie ist eine energiegeladene und engagierte Frau, die der Gesellschaft gerne etwas zurückgeben möchte. Sie studierte Geschichte, Geographie, Politik und Kunstgeschichte, arbeitet als Ausstellungskuratorin und Kunstberaterin. Sie ist Lehrbeauftragte an der Universität Tübingen sowie der Humboldt-Universität zu Berlin und Kuratorin der Vorlesungsreihe „Architektur heute“ an der Universität Tübingen. Im Rahmen dieser sehr beliebten und gut besuchten Vortragsreihe gelang es ihr, die weltweit berühmtesten und interessantesten Architekten und Architektinnen einzuladen. Das Interesse war groß, der Hörsaal mit etwa 250 Leuten stets voll besetzt. Und bei der Auswahl der Vortragenden leitete sie wohl das richtige Gespür, immerhin waren 11 spätere Pritzkerpreisträger:innen darunter.
Die Idee
Ihre Publikation „Frauen in der Architektur“, die 2021 bei Hatje Cantz in Tübingen erschien, mit der Ursula Schwitalla Frauen in der Architektur mehr Sichtbarkeit geben wollte, erreichte viel Aufmerksamkeit. „Jegliche Anerkennung braucht die entsprechende Öffentlichkeit, Preise eigen sich hierfür perfekt“, ist sie überzeugt. So begann Schwittala sich intensiv mit der Idee eines Preises zum Thema auseinanderzusetzen. Mit ihrer damaligen Projektpartnerin Christiane Harth gründet sie 2021 einen Verein. Dann ging alles sehr rasch. 2023 wurde der Divia Award erstmals vergeben.
Viel Zusprache und Unterstützung bei der Umsetzung kam von Martha Thorne, die Jurymitglied wurde, aber auch von Hakim Sarkis oder Leslie Loko, die Schwitalla allesamt in der Notwendigkeit einer solchen Auszeichnung bestärkten. Zahlreiche persönliche Kontakte halfen ihr, Expert:innen mit entsprechender Haltung und gemeinsamer Überzeugung zu gewinnen, um die Gründung zu unterstützen, etwa ehrenamtlich Teil des internationalen Advisory Boards zu werden oder als Jurymitglied tätig zu sein.
Erstmals 2023 verliehen, soll der Preis nun alle zwei Jahre vergeben werden. Vorerst wird er Architektinnen und Stadtplanerinnen gewidmet sein, um in Zukunft weitere marginalisierte Gruppen im Feld der Architektur miteinzubeziehen. Sowohl in dieJury als auch in das vorgeschaltete Advisory Board wurden Personen mit Expertise für bestimmte Weltregionen in allen sechs Kontinenten berufen, die aus ihrer eigenen Kenntnis und Erfahrung Architektinnen zu benennen vermögen, die in Europa noch unbekannt sind. Aus je drei Vorschlägen der Advisory Board Mitglieder der ersten Ausgabe ergaben sich die 27 Nominierten. Diese bewertete die Jury und setzte eine Reihung fest, aus der schließlich die fünf Finalistinnen des ersten Divia Awards hervorgingen. Beirats- und Jurymitglieder werden jeweils zwei Ausgaben begleiten.
Die Prämierten
Die italienische in Peru lebende Architektin Marta Maccaglia ist die Gewinnerin des ersten Divia-Awards. Ihre Architektur schöpft aus der lokalen Kultur und berücksichtigt die Besonderheiten des Ortes. Maccaglia entwirft vornehmlich Bildungsbauten in unterversorgten Gebieten, und reagiert so mit mutiger Haltung auf die dynamischen Bedürfnisse der indigenen Gemeinschaften. 2014 gründete sie die NGO Semillas (www.semillasperu.com), mit der sie mit ihrem Team versucht kooperative im lokalen Kontext die Bildungschancen und das Verständnis für lokale Materialien zu fördern. Ein Engagement, das die Jury einhellig überzeugte.Neben Maccaglia gehörten Tosin Oshinowo aus Nigeria (www.cmdesign-atelier.com), May al-Ibrashy aus Ägypten (www.megawra.com), Noella Nibakuze aus Ruanda (www.massdesigngroup.org) und Katherine Clarke & Liza Fior aus UK (www.muf.co.uk) zu den fünf Finalistinnen der ersten Ausgabe.
Für Schwitalla sind sie alle Gewinnerinnen. „Auch wenn nur Marta Maccaglia den Preis erhalten, werden alle fünf Finalistinnen und deren Arbeiten öffentlich zu sehen sein“. Ermöglichen wird dies ein Katalog ebenso wie eine Ausstellung. Ein Banner mit Informationen zu jeder Finalistin sowie Videos mit Interviews bilden ein kompaktes Paket, das unkompliziert auf Reisen gehen und vor allem auch in den Ländern der Finalistinnen gezeigt werden kann.
Auf der Divia-Website werden die Finalistinnen als Mentorinnen genannt. Sie alle haben sich für Gespräche zur Verfügung gestellt und sind bereit, jungen Architekt:innen aus aller Welt ohne Schwellenangst zu beraten. Schwitalla hofft auf diese Weise nach und nach ein dichtes, barrierefreies und ganz persönliches Netzwerk aufzubauen, „fern von Starallüren und Wichtigtuerei; ein globales Team, das einander beratend zum Erfolg verhilft. Das wäre wunderbar.“
Foto: Ahmed Mansour
Die Zukunft
Widmet man sich mit den ersten beiden Ausgaben auch Frauen in der Architektur, so hat der Begriff der Diversität für Ursula Schwitalla doch viel mehr Potenzial: „Wir möchten zukünftig alle marginalisierten Gruppen im Feld der Architektur miteinbeziehen. Was die dritte Ausgabe dieses Preises auszeichnen wird, lasse ich daher bewusst noch offen“. Denn Diversität hat für sie viele Facetten. „Was wissen wir etwa schon über das Geschehen in Afrika? Auch das Werk schwuler Architekt:innen oder eine Transgenderdiskussion könnte man sich überlegen oder die Rolle der Frauen in muslimischen Ländern“, ergänzt sie.
Immerhin, die Architekturbiennale 2023 in Venedig als Ort für die erste Preisverleihung auszusuchen, war nicht nur angesichts dessen, dass zwei Finalistinnen aus Afrika stammen, schon mal eine perfekte Entscheidung.
Foto: Jason Lowe
Das Interesse nach dieser ersten Ausgabe ist bereits groß, nicht nur für die Gewinnerin sondern etwa auch für Tosin Oshinowo, die Finalistin aus Nigeria, die nicht nur Camps für Boko Haram-Flüchtlinge errichtet sondern auch Strandvillen für reiche Nigerianer. „Die Finalistin Noella Nibakuze aus Ruanda hat in Südafrika studiert, weil es in Ruanda keine Architekturfakultät gibt. Sie ist in ihr Land zurückgegangen, um dort zu arbeiten. Eine interessante Konstellation“, unterstreicht Schwitalla. Auch wenn Nibakuze kein eigenes Büro hat – wie die Auszeichnungskriterien vorschreiben würden – darf der Kontext, in dem die Frauen tätig sind, nicht vergessen werden und muss unbedingt Berücksichtigung finden. Für Schwitalla war es daher absolut notwendig, sie unter den Finalistinnen zu wissen.
Alle Teilnehmerinnen und deren Arbeiten werden also auch in Zukunft im Kontext gesehen, in der geografischen Situation, mit all den Möglichkeiten und Schwierigkeiten, in denen sich Frauen behaupten müssen. Der Divia-Award soll Frauen, die ihr Leben der Architektur widmen, erstmals jene internationale Beachtung sichern, die ihr Engagement und ihr Werk auch verdienen. Deren Sichtbarmachung hat sich der Divia Award zum unbedingten Ziel gesetzt.
DIVIA-Award
Die Gründerin: Ursula Schwitalla
Die Mitgründer:innen: Dirk Boll, Sol Camacho, Odile Decq, Christiane Fath, Angelika Fitz, Anna Heringer, Marc Kimmich
Die Jurymitglieder: Sol Camacho (São Paulo), Odile Decq (Paris), Martha Thorne (Madrid), Rahul Mehrotra (Mumbai/Cambridge), Itohan Osayimwese (Providence)
Das Advisory Board : (Experten von 6 Kontinenten): Für Afrika Mariam Kamara (Niamey/Zurich), für Asien Otobong Nkanga (Kano/Antwerp), Brinda Somaya (Mumbai), Eduard Koegel (Berlin), für Australien Anne-Laure Cavigneaux (Melbourne), für Europa Rodney Eggleston (Melbourne), Renato Turri & Editors World-Architects (Zürich), Francesca Perani (Bergamo), Elena Fabrizi (Carrara, Lissabon), für Nordamerika Julia Albani (Lissabon), Julia Gamolina (New York), für Südamerika Kathrin Moore (San Francisco,) Martin Jasper (Buenos Aires/Asunción) und global Werner Sobek (Stuttgart)
Die Mitglieder des Advisory Board sowie der Jury bleiben für die zwei Ausgaben in den Jahren 2023 und 2025 unverändert bestehen.
Die Botschafter:innen: Regine Leibinger (Berlin/New York), Melodie Leung (London), Angelika Fitz (Wien), Dirk Boll (London), Annabelle Selldorf (New York), Christiane Stahnke (Munich), Kristin Feireiss (Berlin) und Francine Houben (Rotterdam )