Der Österreichische Beitrag zur 18. Internationalen Architekturausstellung, La Biennale di Venezia, die bis 26. November 2023 zu sehen ist, möchte Grenzen aufheben und errichtet hierzu eine Mauer.
Eigentlich wollte man der lokalen Bevölkerung des an die Rückseite des Österreichpavillons angrenzenden Viertels Sant’Elena einen direkten Zugang zum Biennale Pavillon ermöglichen und eine Hälfte des Pavillons für den Zeitraum der Biennale den Venezianer:innen zur Verfügung stellen. Hausherr und Denkmalamt lehnten das Projekt jedoch ab. Sie argumentierten, dass das Areal der Giardini als eine historische Einheit nicht verändert werden könne, auch dürfte der Pavillon nur eine einzige Nutzung erfahren. Einen möglichen Präzendenzfall will man somit strikt vermeiden. Der vom Architekturkollektiv AKT und Hermann Czech als gesellschaftlich wirksam gedachte, temporäre Umbau des österreichischen Pavillons ist somit Geschichte. Doch wie begegnet man nun diesen aktuellen und wohl endgültigen Restriktionen?
Was nicht sein soll
Im intensiven Austausch mit lokalen Initiativen sowie mit der Bevölkerung des angrenzenden Stadtviertels Sant ´Elena hatte man das Projekt als Anstoß zum Umdenken konzipiert, als eine Art Annäherungsgeste der Biennale an die unmittelbaren Nachbarn und Nachbarinnen. Das Projekt sollte kritisch auf die bislang gelebte Praxis der Ausbreitung der letzten Jahrzehnte verweisen und zur Umkehrung dieser räumlichen Inanspruchnahme anregen. Nach der offiziellen Ablehnung rückt nun die Frage, welche Rolle die wichtigste Kunst- und Architekturausstellung der Welt in der Stadt Venedig in Zukunft spielen kann, in den Mittelpunkt. Die soziale Rolle von Architektur scheint die Stadtverwaltung Venedigs mehr und mehr zu vernachlässigen. „In Wirklichkeit breitet sich die Biennale immer weiter aus, und nimmt der Bevölkerung in der Stadt immer mehr Raum weg. Auch wenn während der Biennale viel Leerstand genutzt wird, wird dieser hierdurch der Nutzung durch die Bevölkerung entzogen. Ein Verdrängungsprozess, der gleichzeitig Leerstand schafft“, formulieren es die Akteur:innen des Architekturkollektivs AKT.
Man wollte nicht das Werk einer Architektin oder eines Architekten mittels Modellen und Fotos abfeiern, im Fokus steht vielmehr die Auswirkung von Architektur auf ihr Umfeld. „Wir wollten durch eine temporäre Verschiebung der Grenze das Verhältnis zwischen beiden Seiten akut werden lassen, Nachbarschaften sollten sichtbar werden. Bereits die Positionierung des österreichischen Pavillons, der seine Rückseite dem angrenzenden Stadtbezirk zuwendet, verdeutlicht eine Abgrenzung. Das Projektziel war es, diese für alle sichtbar zu machen“, so Harald Trapp von AKT. Eine Öffnung des Biennale Areals zum angrenzenden Stadtteil sollte zu einer Art symbolischer kommunikativer Geste der Annäherung werden.
Die Giardini der Biennale, jenes Areal, auf dem die einzelnen insgesamt 29 nationalen Pavillons im Laufe der Zeit errichtet wurden, gehören zum flächenmäßig größten Bezirk Venedigs, dem „Sestiere“ Castello. Durch den Rio dei Giardini wird das Areal zweigeteilt. Zu acht Pavillons, die auf der Insel Sant’Elena stehen, gelangt man nur über eine Brücke. Ebendort an der nordöstlichen Grundgrenze befindet sich auch der Österreichpavillon. Unmittelbar hinter dem Pavillon wird das Areal der Giardini durch eine hohe Mauer begrenzt, sie verwehrt Unbefugten den Zutritt in das Ausstellungsgelände. Die ursprüngliche Idee des österreichischen Biennalebeitrags 2023 bestand darin, durch eine Öffnung in dieser Mauer den Bewohner:innen des hinter dieser Grundgrenze gelegenen Stadtteils Sant’Elena – eines der wenigen noch überwiegend von lokaler Bevölkerung bewohnten Viertel Venedigs – den direkten Zutritt zum Österreichpavillon zu ermöglichen. „Ein Teil des Gebäudes wäre über eine Öffnung in der Grenzmauer an den angrenzenden Stadtteil angeschlossen und für den Zeitraum der Biennale dessen Bevölkerung zur Verfügung gestellt worden. Im Zentrum dieses architektonischen Eingriffs standen die Unterscheidungen öffentlich – privat, zugänglich – nicht zugänglich, gemeinschaftlich – individuell“, erläutert das Kurator:innenteam.
Überzeugend partizipativ
Die Jurymitglieder Peter Cachola Schmal, Elke Delugan-Meissl, Tulga Beyerle, Marta Schreieck und Anna Heringer hatten aus insgesamt 18 Einreichungen einen Dreiervorschlag ausgewählt, aus dem letztlich mit Kultur- und Kunststaatssekretärin Andrea Mayer das Siegerprojekt bestimmt wurde.
Tulga Beyerle, Direktorin des Museums für Kunst und Gewerbe Hamburg und Mitglied der Jury verriet zum Entscheidungsprozess: „Die Einreichungen waren divers und allesamt sehr spannend, denn sie bildeten die Bandbreite des aktuellen architektonischen Diskurses ab. Der ausgewählte Beitrag von AKT und Hermann Czech begeistert uns, da er sich einerseits der sehr aktuellen Frage der Nutzung öffentlichen Raums stellt, somit auch Fragen der Beteiligung oder dem Recht auf Stadt. Gleichzeitig lebt das Projekt von dem sehr präzisen Eingriff in den Österreichischen Pavillon – der Trennung und Öffnung von eleganter architektonischer Qualität, kombiniert mit Humor und Leichtigkeit. Das Zusammenspiel dieser Themen – der Diskurs über die Nutzung des öffentlichen Raums, kombiniert mit bester Architektur – führte zu dieser einstimmigen Entscheidung der Jury.“
Das Juryprotokoll unterstreicht die einstimmige Entscheidung wie folgt: „Das Projekt Beteiligung / participation greift ein aktuelles und gesellschaftlich relevantes Thema auf: das Recht auf Stadt sowie das Recht auf gemeinsam genutzten (konsumfreien) öffentlichen Raum. Implizit eingeschlossen ist die Frage nach Beteiligung. Durch den präzisen Eingriff einer Grenzverschiebung im österreichischen Pavillon thematisiert das Team Zugänglichkeit wie Ausgeschlossenheit gleichermaßen. Darüber hinaus schwingt auch das Verhältnis der Biennale zur Stadt Venedig mit. Unserer Ansicht nach haben wir ein Projekt gewählt, in dem sich gesellschaftliche Themen, wie die aktuelle Verhandlungsmasse des öffentlichen, allgemein zugänglichen Raums mit einem spannenden architektonischen Eingriff in den Pavillon treffen“.
Das Trennende kann einen
Die Dokumentation der ursprünglichen Projektidee, die historische Grenzmauer aufzubrechen, sie zu öffnen und einen direkten Zugang in eine Hälfte des Pavillons zu ermöglichen, ist nun in einer Ausstellung zu sehen. Anstelle nun aber mit der Öffnung der Grenzmauer eine existente Trennung auch de facto aufzuheben, wird abgeschottet: Eine etwas rudimentär verspachtelte unfertig wirkende Wand trennt den symmetrischen Pavillon schon im Eingangsbereich in zwei Hälften. Als wäre eine Baustelle abrupt abgebrochen worden, zeigt sich die Intervention unfertig. Auch die zuletzt vorgeschlagene Brücke zur Überwindung der Begrenzungsmauer, wurde nicht genehmigt. Sie wurde soweit fertig gestellt, dass sie begehbar ist und einen Blick über die Mauer in den dahinter liegenden öffentlichen Park Sant´Elenas erlaubt. Der östliche Teil des Pavillons ist mittels Bauzaun abgesperrt, der Raum ist einsehbar, nicht aber betretbar. Mit einer Tribüne ausgestattet, wäre er den Bewohner:innen und lokalen Initiativen als öffentlicher Versammlungsraum während der Dauer der Biennale zur Verfügung gestanden. Nun bleibt er leer und ungenutzt. Visualisierter Leerstand. Nur einen Tag im November sind hier bei freiem Eintritt für alle Bewohner:innen Veranstaltungen geplant. Die übrige Zeit werden die städtischen Aktivitäten nur außerhalb des Biennaleareals stattfinden.
In jenem für die Biennale-Besucher:innen von den Giardini aus zugänglichen Gebäudeteil zeigt ein Modell den geplanten Brückenschlag und werden die aktuellen Probleme dieses strukturschwachen Stadtteils Sant ́Elena, seine Lebenswelt und das Konzept von AKT und Hermann Czech dem Publikum erläutert: Im Fokus hierbei stehen Trennung und Beteiligung. Räumlich erlebbar wird aber nur das Trennende.
Veränderung anstoßen
Das Veranstaltungsprogramm, das die lokale Bevölkerung Sant ́Elenas rund um die Zukunft des Stadtviertels organisiert hat, bleibt draußen. Eine Anregung zum Austausch zwischen Bewohner:innen, Biennale-Besucher:innen und den beteiligten Institutionen zur Zukunftsperspektive und sozialen Rolle von Architektur, denn der „österreichische Biennale-Beitrag 2023 versteht sich als generationenübergreifende Annäherung an die Möglichkeiten von Architektur in der gegenwärtigen Gesellschaft, als Dialog sowohl im Denken als auch im Bauen“, so die Kurator:innen.
Die hier angesprochene Problematik von Abschottung und Abgrenzung, der beziehungslosen Koexistenz ebenso wie einer notwendigen Inklusion, mangelnder Kommunikation und Beteiligung im Sinne partizipativer städtebaulicher und baulicher Eingriffe bestimmen doch letztlich unser aller Leben und Wohnen. Die hier sichtbar gemachte bauliche Barriere unterstreicht umso mehr eine allgemein ausufernde Wahrnehmung der Ausgrenzung. Die Unmöglichkeit, Barrieren zu beseitigen und die Errichtung neuer Barrieren wird zur symbolischen Geste, die die bestehende Problematik aus zwei getrennten Blickwinkeln unterstreicht. Städte müssen zwar dichter werden, der neu entstehende Raum sollte jedoch zum Teil auch wieder abgetreten werden, damit neue Nachbarschaften entstehen können. Erlebbare Nachbarschaft, Partizipation und Inklusion, auf die das Kurator:innenteam mit seinem Vorschlag verweist, sollte allerdings kein unerfüllter Wunschtraum bleiben.
Am Beispiel der unverrückbaren Begrenzungsmauer wird die wachsende Kritik der Venezianer:innen – deren Einwohnerzahl in der Altstadt seit letztem Jahr einen historischen Tiefstand von unter 50.000 Einwohner:innen erreicht hat – nachvollziehbar. Ökonomische Ausbeutung, touristische Monokultur, räumliche Verdrängungsprozesse und fehlende essentielle Infrastruktur haben diese Entvölkerung Venedigs zugunsten einer kapitalkräftigen Gentrifizierung angetrieben. Diverse Bürgerinitiativen fordern längst eine kritische Auseinandersetzung von der Politik ein, sie rufen nach ökologisch, ökonomisch und sozial wirksamen Maßnahmen für eine bewohnbare und lebenswerte Stadt. Vielleicht kann die ursprüngliche Projektidee des österreichischen Pavillons ja gerade durch ihre Verhinderung letztlich mehr Aufmerksamkeit generieren und ganz im Sinne des diesjährigen übergeordneten Biennalethemas „Laboratory of the Future“ auch reelle Chancen für eine veränderte kommunikative und paritäre Stadtentwicklung Venedigs anstoßen. Ein Besuch des Pavillons lohnt also allemal.
Über die Kuratoren
AKT ist ein siebzehnköpfiges Architekturkollektiv, das sich zum Ziel gesetzt hat, die unabhängige und utopische Produktion von Raum zu fördern. Die zunehmend wirtschaftlichen Zwängen folgende Gestaltung unserer Lebenswelt möchte man durch den Bau konkreter Räume aubrechen, unterlaufen und durch alternative Modelle konterkarieren.
Bisherige Arbeiten von AKT, in Form von jeweils individuellen oder kollektiven Beiträgen: AKT 1 Europa, Oststation, Wien (AT) 2019; AKT 2 EinGang, Am Kempelenpark, Wien (AT) 2019; AKT 3 Nachbar*in, Leopoldquartier, Wien (AT) 2020; AKT 4 Gast, Club Hybrid, Graz (AT) 2021; AKT 4 Gastgeschenk, banale, Graz (AT) 2021; AKT 5 Einbruch, Vienna Art Week, Wien (AT) 2021; demnächst: AKT Bühnenbild Doheem – Fragment d‘intimités, Esch (LU) 2022 – Esch-sur-Alzette Europäische Kulturhauptstadt 2022.
AKT sind: Fabian Antosch, Gerhard Flora, Max Hebel, Adrian Judt, Julia Klaus, Lena Kohlmayr, Philipp Krummel, Gudrun Landl, Lukas Lederer, Susanne Mariacher, Christian Mörtl, Philipp Oberthaler, Charlie Rauchs, Helene Schauer, Kathrin Schelling, Philipp Stern, Harald Trapp. www.a-k-t.eu
Hermann Czech
Geboren in Wien. Er studierte u.a. bei Konrad Wachsmann und Ernst A. Plischke. Sein architektonisches und planerisches Werk ist ungleichartiges. Czech verfasste auch zahlreiche kritische und theoretische Publikationen zur Architektur.
Er hatte Gastprofessuren an der Harvard GSD, der ETH Zürich und in Wien inne und hielt zahlreiche Vorträge. Er wurde wiederholt ausgezeichnet. Einzelausstellungen waren u.a. im Architekturmuseum Basel zu sehen bzw. Bei seiner Teilnahme an der Architekturbiennale Venedig 1980, 1991, 2000 und 2012.
Czechs Ausstellungsgestaltungen bedienen sich oft der (auch vorgefundenen) räumlichen Struktur zum Vorteil der inhaltlichen Ausrichtung: z.B. „von hier aus”, Messe Düsseldorf 1984; „Wien 1938”, Wiener Rathaus, 1988; „Wunderblock”, Reithalle Wien 1989; „Der Wiener Kreis”, Universität Wien 2015; „Josef Frank: Against Design” (auch als Kurator), MAK Wien, 2015; Ausstellung Sigmund Freud Museum Wien 2020 www.hermann-czech.at