Mehr und mehr erfreut sich der Begriff „Baukultur“ großer Beliebtheit unter Architekturschaffenden, in der Politik und in den Medien. Auch die Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut lädt von 19. bis 22. September anlässlich der interventa Hallstatt zum Symposium zwischen Tradition und Innovation zum Thema „Rurale Baukultur“.
Und genau um eben diese scheint es eher schlecht bestellt: Die Bodenversiegelung und Zersiedelung schreiten ungehindert voran, Leerstand im Wohnbau bleibt unkontrolliert, während weiterhin in Neubau investiert wird, ungenutzte Gewerbebauten samt großzügiger Parkplatzflächen liegen brach, Konzepte für ein effizientes öffentliches Verkehrsnetz fehlen, Umwidmungen landwirtschaftlicher Flächen in Bauland haben Hochkonjunktur, Rückwidmungen sind selten, der Einfamilienhausbau ist nach wie vor der Traum nicht nur der ländlichen Bevölkerung. Gewerbegebiete boomen, Ortskerne veröden, der Einzelhandel stirbt, Massentourismus überflutet historisch wertvolle Orte und beeinträchtigt das Leben dessen Bewohner:innen, die sich aus dem öffentlichen Raum zurückziehen.
Global, lokal, vielfältig
Kuratiert von Sabine Kienzer und Marie-Therese Harnoncourt-Fuchs, diskutieren internationale Gäste aus diversen Fachbereichen wie Architektur, Philosophie und Soziologie, aus der bildenden und darstellenden Kunst, sowie aus der Gastronomie über Zukunftsfragen zur Entwicklung des regionalen Raums rund um die Themen Landschaft, Architektur und Alltagsstrukturen. Mit neuen bislang ungewohnten Veranstaltungsformaten, in denen essenzielle Themen der Baukultur verhandelt werden sollen, möchte man die üblichen Pfade verlassen: performativ und nicht-konventionell soll es zugehen – zwischen Baustelle und Vortragssaal. Fokussiert auf das Wichtigste, partizipativ und sogar humorvoll hofft man, unterschiedlichste Zielgruppen zu erreichen und ein Umdenken anzustoßen.
Die Baukultur von Morgen ist eine Bewusstseinskultur. Sie beschäftigt sich mit Arbeitsmethoden, widmet sich der permanenten Veränderung und hat die Zukunftstauglichkeit für die Region und eine gemeinsame Welt im Fokus.
Sabine Kienzer und Marie-Therese Harnoncourt
Die Teilnehmenden der interventa Hallstatt 2024 sind global wie lokal tätig, ebenso avantgardistisch wie traditionell, sie agieren zwischen Utopie und Pragmatismus. Die junge chinesische Architektin Xu Tiantian etwa wird ebenso anreisen wie die deutsche Philosophin und Historikerin Ulrike Herrmann, die pakistanische Architektin Yasmeen Lari oder der österreichische Energiewissenschaftler Keywan Riahi. Anwesend sind die slowenische Architektin Špela Videčnik, die Biologin und Schriftstellerin Andrea Grill, Konrad Frey, ein Pionier der österreichischen Architektur, die Architekten Georg Driendl, Daniel Fügenschuh und Kjetil Trædal Thorsen sowie der Haubenkoch Jochen Neustifter und die deutsche Architektin Anna Heringer und einige mehr.
Mögliche neue Lebenswelten
Gestartet wirdam Donnerstag, den 19. September um 15:30 Uhr nachmittags mit Keynote, Lecture und Streitgespräch zwischen Philosophie, Wissenschaft und Architektur. Unter der Leitung von Jochen Neustifter führen das Team Wirtshauslabor sowie Architekturpublizist und Autor Wojciech Czaja durch die vier Veranstaltungstage. Im Mittelpunkt stehen die Schaffung möglicher neuer Lebenswelten, die Mobilitätswende, Themen wie Identität und Raumproduktion, ebenso wie Kreislaufwirtschaft und zukünftige Spekulationen. Hinzu kommen Baukultur-Expertisen repräsentativer Kulturhauptstadtprojekte wie etwa das vom Hallstätter Architekten Friedrich Idam entwickelte Wissensvermittlungsprojekt „Simple Smart Buildings“sowie das Projekt „Lust auf Baukultur“von LandLuft.
Den Abschluss des Symposiums bildet die Bad Ischler Autorin und Biologin Andrea Grill, die ihre künstlerische Reflexion einer KI gegenüberstellt.
Der immer intensivere Diskurs über das Thema Baukultur ist schon einmal ein reeller Hoffnungsschimmer. Mittlerweile befassen sicht nicht mehr alleine Architekt:innen damit, endlich sprechen auch Bauherr:innen, politische Entscheider:innen und Medienvertreter:innen von Baukultur. Schlagworte wie Energieeffizienz, Ökologie, Zirkularität, Leerstand, Bodenversiegelung und soziale Verträglichkeit sind in aller Munde. Initiativen wie European Bauhaus und Green Deal lassen vermuten, dass auch die Politik die Bedeutung einer notwendigen Wende endlich erkannt hat. Unsere Realität sieht allerdings noch immer anders aus, denn Rentabilität und Gewinndenken bestimmen noch immer über Erhalt und Revitalisierung oder Abbruch bestehender Bausubstanz. Eine Kultur der Fehler lässt sich ebenso vermissen wie Transparenz bei der Vermittlung getroffener Entscheidungen und fehlende Kommunikation auch erfolgter Begründungen auf der Tagesordnung stehen. Solange in Elitendiskussionen Entscheidungen gefällt werden, solange zu vernehmen ist: „Das haben wir immer schon gemacht“, „Das haben wir noch nie so gemacht“ oder „Da müsste man …“, wird wohl alles so weitergehen wie bisher.
Miteinander zu sprechen ist von eminenter Bedeutung, gemeinsames Handeln aber dringlicher denn je.
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