SelgasCano Arquitectos, das 1996 in Madrid von José Selgas und Lucía Cano gegründete Atelier, hat für seine aktuelle Ausstellung im aut. architektur und tirol in Innsbruck eigens ein Projekt erdacht und dem Ausstellungsraum des ehemaligen Brauereigebäudes, dem Sudhaus des Adambräus auf den Leib geschnitten.
Die raumgreifende Installation bedient sich hierzu Spiegelmembranen, transluzenter Gaze, zu Ketten aufgefädelter Kunststoffperlen, die von der Decke abgehängt luftige Unterteilungen schaffen. Kein üblicher Einblick in ihr Schaffen anhand von Projektfotos, Zeichnungen, Modellen oder Plänen also, sondern ein erlebbares Beispiel ihrer Architektur. Entstanden sind acht Zylinder aus unterschiedlichen Materialen, die sich Perpetuum Mobiles gleich auf- und abbewegen und farbgewaltige Erlebnisräume für alle Sinne schaffen. „Unstable Zones“, so der Titel der Schau, mit der das Architekt:innenduo das Bewusstsein der Besucher für die unzähligen Möglichkeiten der Architektur schärfen möchte, und unter Beweis stellt, wie es gelinge kann, einen Raum mit minimalen Mitteln zu verändern. Die industriellen Materialen wie ETFE, Acryl und Polycarbonat, die SelgasCano Arquitectos für ihre raumgreifende Installation einsetzen, sind dieselben, die sie für ihre transparenten, organischen und farbenfrohen Bauten verwenden und, denen sie ihre internationale Anerkennung verdanken.
Unkonventionell und kreativ
Ihr Atelier halten José Selgas und Lucía Cano bewusst klein. Damit möchte sie sicherstellen, sich an jedem ihrer Projekte auch selbst direkt beteiligen zu können. Bekannt wurden die beiden erstmals zu Beginn der 2000er-Jahre in Spanien mit ihren Konzert- und Kongresszentren. Trotz unterschiedlicher Ausgangssituationen ist ein Ansatz ablesbar, nämlich ihre Vorgangsweise, eine individuelle Lösung stets auf Basis präziser Untersuchung des Vorhandenen zu suchen, wobei die Architektur, die selbst in den Hintergrund tritt, der Natur möglichst viel Raum lässt.
In Badajoz stellten sie in den Hohlraum der Ruine einer ehemaligen Bastion ein Gebäude, das fast im Boden verschwindet; am Hafen von Cartagena entschieden sie ein bewusst für ein niedriges Bauwerk, um die Verbindung zwischen Stadt und Meer zu respektieren. Wie ein transparenter Fels über der Landschaft der Extremadura schwebt in Plasencia eine Struktur minimaler Grundfläche.
Für ihren Serpentine Pavillon im Londoner Hydepark 2015, einem konsequent leichten Pavillon aus Stahlgerüst und einer durchscheinenden Membran aus ETFE, wurden sie international bekannt. Sie schufen mit der in bunten Farben unterschiedlicher Dichte bedruckten Konstruktion eine farbenfrohe Atmosphäre, die sich wechselnder Lichtsituationen entsprechend ständig veränderte.
SelgasCano blieben in den folgenden Jahren ihrem Konzept der Kombination leichter Metallstrukturen mit einer Hülle aus transluzentem Kunststoff treu und veränderten diese immer wieder aufs Neue.
Offen für Neues
Mit der kreativen Erforschung und Verwendung unkonventioneller, industrieller Materialien suchen SelgasCano auch nach kostengünstige Lösungen, die einen Mehrwert für die Menschen schaffen. Mit der Youth Factory in Mérida konzipierten sie etwa ein Gebäude in Form eines großen Vordachs, das den Jugendlichen Raum für verschiedene Freizeitaktivitäten zur Verfügung stellt. Aus lokal verfügbaren Materialien wie Gerüstteilen und Wellblech gestalteten sie in Kenia im Rahmen ihrer Lehrtätigkeit am MIT mit Studierenden ein Impf- und Gesundheitszentrum für die Bevölkerung. Daraus ging ein temporärer Pavillon für eine Ausstellung über Architektur, Kunst und Kultur des afrikanischen Kontinents im Auftrag des Louisiana Museums hervor. SelgasCanos nutzten die Gelegenheit, um gemeinsam mit dem von ihren ehemaligen Studierenden gegründeten Büro „helloeverything“, eine neue Konstruktion zu entwickeln, die nach Ausstellungsende abgebaut und in einem Slum von Nairobi als Schule wieder aufgebaut wurde.
Obwohl transparente Strukturen und leuchtende Farben zu ihrem Markenzeichen geworden sind, betonen José Selgas und Lucía Cano, dass sie nicht in festgefahrenen Formen, Stilen oder Konzepten denken. Ihre Prämisse, so sagen sie, sei es, keine Prämissen zu haben, immer offen zu sein für alles, was passieren könnte. Und im besten Fall festzustellen, dass sie gefunden haben, was von Anfang an offensichtlich war, es eigentlich keine andere Lösungsmöglichkeit gab.
Bis 25. Oktober 2024, aut. architektur und tirol, Innsbruck
www.aut.cc
http://www.selgascano.net/