Karin Standler ist Landschaftsarchitektin. Bei der Planung öffentlicher Grünräume und Gärten hat sie eine ganz persönliche Vorgangsweise entwickelt, bei der sie sich zunächst auf eine aufregende Forschungsreise begibt, auf Spurensuche. Sie macht sich auf, die einzelnen Schichten eines Ortes – wie sie es nennt – zu erspüren, zu erkunden, zu erforschen. Und es scheint, als gelänge es ihr nicht nur hinzuhören, wenn ihr Pflanzen und Orte deren Geschichte erzählen, sondern diese auch zu verstehen und in die Umsetzung neuer Schichten einfließen zu lassen.
Christine Müller im Gespräch mit Karin Standler
Wie würden Sie Ihre Arbeit als Landschaftsarchitektin beschreiben?
Mein Planungsansatz ist die Beschäftigung mit den unterschiedlichen ortspezifischen Schichten der Landschaft, die es zu gestalten gilt; bestehende zu entdecken, vorsichtig abzuheben, aber letztendlich auch neue hinzuzufügen, um Gärten als Lebensraum, als Sehnsuchtsorte zu schaffen.
Wie gelingt es Ihnen, diese Schichten zu erspüren?
Es geht darum herauszufinden, welche Schichten künstlich oder natürlich entstanden sind, und zu differenzieren, diese dann materiell abzubilden.
Meinen Sie hiermit den Genius Loci eines Ortes?
Er ist immer der Anker- und Ausgangspunkt. Ich frage mich zuerst nach dem Ort, versuche zu erfassen, was er in seinen Schichten hergeben könnte, die Geschichte eines Ortes zu analysieren. Was war an diesem Ort gewünscht, wie hat er sich verändert? Im Grunde genommen eine Wissenschaft. In meiner Vorgangsweise hat mich etwa der Soziologe Lucius Burckhardt mit seinem Buch „Warum ist Landschaft schön?“ und der von ihm geschaffene, wunderbare Begriff der Spaziergangswissenschaft sehr geprägt. Es geht darum, Landschaft überhaupt einmal interpretieren zu können, die Zusammenhänge auszuheben.
Sehen Sie sich als eine Art „Landschaftswissenschaftlerin“?
Nicht nur, aber es ist schon durchaus ein möglicher Zugang. Das Sicherste, wie man sich einem Ort nähern, ihn interpretieren und verstehen kann, ist, seine Schichten freizulegen. Erst darauf aufbauend, kann man die Wünsche der Bauherren berücksichtigen, die Rahmenbedingungen, die zukünftigen Aufgaben, die den Ort erfüllen, festlegen. Erst dann ist es möglich, alte Schichten bewusst zu ergänzen, dem Ort eine Identität zu geben; als Kontrapunkt, Ergänzung oder als Definition.
In meiner Vorgangsweise hat mich der Soziologe Lucius Burckhardt mit seinem Buch „Warum ist Landschaft schön?“ und der von ihm geschaffene, wunderbare Begriff der Spaziergangswissenschaft sehr geprägt.
Karin Standler
Galt der Landschaftsarchitektur schon immer Ihr Interesse?
Der Landschaft und der Identität von Orten. Ich glaube, es hat viel mit meinem Literaturbezug zu tun, mit meiner Kindheit. Dieser Möglichkeit des Spielens im Garten, in der Natur Mooshäuser zu bauen. Aufgewachsen bin ich in sehr schönen Landschaften und Gärten, in meinem Eltern- und Großelternhaus in Linz und im Sommer im Salzkammergut am Grundlsee, in zwei unterschiedlichen Landschaften, in Linz und mit dem Kalkschotter, Moos und Farnen im Salzkammergut. Das habe ich alles schon damals zu kleinen Minigärten und Minihäusern verwertet.
Und auch heute leitet Sie Ihre Neugierde beim Experimentieren?
Auch der Naturbezug, diese Kreativität, hinter der dann die Naturwissenschaft steht und die Möglichkeiten, in bestehende Landschaften eingreifen zu können. Der planerische Zugang ist mir sehr wichtig.
Welchen Bezug haben Sie zu Architektur?
Landschaftsarchitektur und Freiraumgestaltung ist eine Spezialisierung der Architektur. Und natürlich muss man sich am Gebauten orientieren. Wenn wir von den Schichten der Landschaft sprechen, dann ist das Gebaute oder das zu Bauende auch eine Schicht, die Einflussgröße des Raumes in der Architektur. Das geschieht alles aus einer Planungsdisziplin und -kultur heraus, und es geht um diese Schnittstellen.
Roland Rainer etwa hat sich als Architekt auch sehr intensiv mit der Landschaftsplanung beschäftigt.
Sein burgenländisches Sommerhaus in St. Margarethen ist für mich nachvollziehbare Architektur und Gartenarchitektur. Bewusst zu überlegen, wie stelle ich ein Haus mit welchen Materialien in die Landschaft. Er hat die Pflanzen aus der Umgebung in seinem Garten und Innenhof platziert, genauso wie er den St. Margarethener Sandstein für sein Haus verwendet hat. Das ist wunderbar. Es wäre logisch und einfach, so zu arbeiten. Letztendlich war Roland Rainer für mein Studium wohl bestimmend. Ich hatte als Jugendliche die Gelegenheit, seine Siedlung in Linz Puchenau zu besuchen, wo eine ganz neue Wohnform entstand, auch vom Gemeinschaftsgedanken her; keine Autos, Spielstraßen, die Lage an der Donau.
Man kann auch bewusst Kontraste setzen.
Ja, auch ich setze oft Künstliches dagegen. Man muss einen Ort zuvor aber analysieren, auf die Planungsanforderungen Antworten parat haben, um diese herleiten zu können. Das ist Planungskunst und Planungsphilosophie. Ich halte es da ganz mit Carlo Ginzburg und seiner „Spurensicherung“ wie jene, die bei der Auflösung von Kriminalfällen herangezogen wird. Ich sehe eine Felsenbirne, eine Iris und schließe daraus auf den Boden, den möglichen Naturstandort. Auch ich betreibe indizienwissenschaftliche Spurensicherung und sehe die Landschaft als Krimi sozusagen.
Wie ist das nun in städtischen Wohnanlagen, wie müssen Grünräume hier aussehen, sodass diese von den Bewohnern auch entsprechend wahrgenommen und genutzt werden?
Der verdichtete Flachbau Roland Rainers war eine andere Wohnungspolitik, eine andere Programmatik. Sein „Dekorationen ersetzen Konzepte nicht!“ hat nicht nur meine Arbeit geprägt. In meinen Lehrveranstaltungen habe ich oft Siedlungen analysieren, interpretieren lassen, um das Planungskonzept dahinter zu untersuchen, dieses konzeptuell zu erforschen. Als Mitglied des Wiener Gestaltungsbeirats, wo ich die Freiräume im geförderten Wohnbau beurteile, wird über diese Programmatik diskutiert. Beim Thema Smart Wohnen, also bei der Schaffung kostengünstigen, aber qualitativen Wohnraums, versuche ich diese in den Freiraum zu übersetzen, auszuloten, was das im Freiraum bedeutet. Es geht um Qualität auf engstem Raum, um einen Beitrag des Freiraums zum kostengünstigen Wohnen. Der Gemeinschafts- und Communitygarten ist hierbei mehr und mehr in den Wohnbau zu integrieren. Mir geht es um die Haltung gegenüber dem Raum, um ein Bewusstsein für diese Zusammenhänge und deren Wahrnehmung. Meine Beurteilung erfolgt anhand prüfbarer Kriterien wie Gebrauchsqualität, Materialverwendung, Nutzungsangebot, Funktionalität und Ökologie. Und es ist meine Aufgabe, den Freiraum zu stärken.
Sie sind auch oft Mitglied in diversen Wettbewerbsjurys.
Auch dort beurteile ich die Freiraumplanung. Freiraum trägt dazu bei, Qualitäten zu unterstützen, die Architektur aber bereits berücksichtigen muss.
Aber auch dessen Nutzung will offensichtlich gelernt sein. Viele Balkone und Terrassen werden oft durch Lagerung nichtbenötigter Gegenstände zweckentfremdet. Nur wenige nützen diese als Erweiterung des Wohnraums.
Auch mein Fahrrad abzustellen ist eine berechtigte Nutzung. Ich denke dann eher, da hat der Architekt verabsäumt, in der Wohnung einen Stauraum vorzusehen, oder es fehlt der Fahrradkeller – das sind alles Indizien.
Aber da läuft doch etwas verkehrt – ich biete einen Freiraum für Liegestuhl und Pflanzen, und der Bewohner stellt dort seine Waschmaschine oder sein Fahrrad ab?
Aber er benützt ihn, das ist der Punkt. Es macht ja schon einen Unterschied, wenn eine Balkontür zu öffnen ist und sich ein Übergangsbereich zwischen Wohnraum und Straße schiebt. Das „Betreten verboten“-Schild im Zeilen- und Geschoßwohnbau hat sich klarerweise auch in den Köpfen der Menschen verankert. Man hat zwar was zum Draufschauen, ein Abstandsgrün, aber es soll nicht betret- oder benutzbar sein.
Viele Kinder wachsen heute in Betonwüsten auf. Menschen interessiert nicht, welche Pflanzen uns umgeben. Kann man hier etwas auslösen, indem man Kindern und Jugendlichen in der Stadt unterschiedliche Nutzungsräume anbietet?
Bei der Gestaltung von Freiräumen für Jugendliche geht es darum, mit ihnen gemeinsam den passenden konsumfreien Ort der Kommunikation mit Aufenthaltsqualität für sozialen Austausch zu schaffen, gemeinsam zu entwickeln und diesen bewusst zu gestalten, diesen in eine Stadtkultur zu integrierten, als Lebensort. Ich habe bisher mit 500 Jugendlichen in 25 verschiedenen Gemeinden an der Freiraumentwicklung gearbeitet. Egal ob die Gemeinde 800 Einwohner zählt oder die Stadt eine Million, diese Art der Partizipation, deren Methodik ich entwickelt habe, startet bei der Wahl des richtigen Ortes, wo Kommunikation dann auch geschehen kann.
Aufenthaltsqualität und Freiraumqualität sind wichtige Faktoren bei der Gestaltung von Freiräumen, Pflanzen sichern also immer einen gewissen Mehrwert.
Egal ob im Gesundheitssystem oder bei öffentlichen Grünraum, es geht immer darum, Atmosphären zu beeinflussen. Das Wohlfühlen ist für mich als Landschaftsarchitektin ein ganz wichtiger Aspekt, sie zu verändern, damit etwas auszulösen. Aber nicht immer ist der schönste Garten auch der beste Garten. Was zählt, ist die Idee, der Charakter, der hinter dem Planungskonzept steckt, mit welchen Typologien oder Charakteren diese Gartenlandschaften oder Freiräume konnotiert sind oder neu erfunden werden. Das ist eine Planungskultur, die zu einer Gartenkultur führt. Deshalb habe ich den Wettbewerb best private plots für die besten Gärten als internationalen Wettbewerb ins Leben gerufen. Und da komme ich wieder zu dem Punkt, der mir als Landschaftsarchitektin so wichtig ist: Denn obwohl die Ästhetik natürlich ein zentrales Element der Gestaltung und Planung ist, letztendlich sind künstlerische, konzeptuelle Qualität, Materialeinsatz, Freiraumorganisation, Nutzungsvielfalt, Nachhaltigkeit als Kriterien entscheidend, und die müssen zusammenstimmen.
Ich halte es da ganz mit Carlo Ginzburg und seiner „Spurensicherung“ wie jene, die bei der Auflösung von Kriminalfällen herangezogen wird. Ich sehe eine Felsenbirne, eine Iris und schließe daraus auf den Boden, den möglichen Naturstandort. Auch ich betreibe indizienwissenschaftliche Spurensicherung und sehe die Landschaft als Krimi sozusagen.
Karin Standler
Wie wird unsere Stadt mit ihren Plätzen und mit ihrem Grünraum in Zukunft aussehen?
Wir müssen unterscheiden zwischen Park oder Platz. Auf einem urbanen Platz für Begegnung und Kommunikation sind Pflanzen vor allem Beschattungselement. In einem Park geht es um nicht versiegelte Flächen. Plätze sind in ihrer Funktion klar zu formulieren. In Wien geht die Tendenz leider dahin, viele Parkanlagen immer mehr zu befestigten Plätzen zu machen. Es braucht quantitative und qualitative Kennwerte zur Bewertung des Vorhandenen, um Potenziale auszuloten. Auch Mehrfachnutzungen, egal ob in der Baugrube, Baulücke oder Brache. Vereinssportplätze oder Schulanlagen für bestimmte Zeiten zur Nutzung durch die Bevölkerung freizugeben, Straßenzüge besser auszustatten und Dach- und Fassadenbegrünungen zu fördern sind Möglichkeiten und könnten bis zu 50 Prozent mehr Freiraum generieren. Und dass es dabei immer wieder um Landschaften, um bekannte und noch unbekannte Landschaften geht, um neue Orte, gefällt mir so an meinem Beruf. Ganz im Sinne der Worte des Landschaftsplaners und Philosophen Bernard Lassus: „Einen Ort neu gestalten, das heißt auch eine Landschaft, die wir vielleicht noch nicht erkennen konnten, durch eine erkannte Landschaft zu ersetzen.“ Und hier sind wir wieder bei meinen Schichten angelangt, meinem unermüdlichen Sichtbarmachen des bislang Unsichtbaren.
Karin Standler
1966 geboren in Linz
seit 2000 selbstständige Planungstätigkeit als Landschaftsarchitektin mit Büro in Linz und Wien; Gewerbeberechtigung Technisches Büro für Landschaftsplanung; Gewerbeberechtigung für Garten- und Landschaftsbau
seit 2012 Mitglied des Grundstückbeirats Wien; 1996–2002 Dissertationsstudium an der Universität für Bodenkultur; 1992–93 Forschungsaufenthalt in Burkina Faso, Westafrika, für Diplomstudien; 1990–93 Studium der Raumplanung und Raumordnung an der
TU Wien; 1987–1993 Studium der Landschaftsplanung an Universität für Bodenkultur, Wien.
Lehre und Forschung:
seit 2013 Lehrbeauftragte für Theorie und Entwurf Landschaftsarchitektur an der Universität Liechtenstein, Vaduz; 2010–2013 Lehrbeauftragte am Institut für Städtebau, Landschaftsarchitektur und Entwerfen, TU Wien; 2007–2009 Lehrbeauftragte am Institut für Kunst und Architektur, Akademie der bildenden Künste, Wien.
Aktuelle Projekte:
2011–14 Außenanlagen Wohnbau Sternbrauerei Salzburg am Rain- berg, Architektur Hariri & Hariri (New York); 2013–14 Außenanlagen Wohnbau Rosenberggürtel, Graz, mit TB DI Maria Baumgartner, Architektur: Gangoly+Christiner; 2013 Außenanlagen der Wohnhausanlage Hamburg Grasbrookpark, AG BKK-3 Architektur ZT-GmbH; 2013 Innenhofgestaltung für den Firmensitz des Österreichischen Siedlungswerks (ÖSW); 2012–13 LANDlab – Stadtränder, Indikator für die Alltagsrealität und Wirklichkeit der Stadt Lehr- und Forschungskooperation mit der TU Wien (Institut für Städtebau, Landschaftsarchitektur und Entwerfen), der RWTH Aachen (Lehrstuhl für Planungstheorie und Stadtentwicklung)
2012–13 Gestaltung eines Parks mit Partizipation der Mitarbeiter der Firma Samsung, Galaxy Tower.
Erschienen in Architektur & Bau Forum 08/2013