Architektur, Künstliche Intelligenz und die vielfältigen Möglichkeiten der Vermittlung und kritischen Auseinandersetzung stand im Rahmen der Architekturtage 2024 auf dem Programm einer Abendveranstaltung, zu der das Institut für Grundlagen der Konstruktion und des Entwerfens der TU Graz (KOEN), GAT.news gemeinsam mit dem Birkhäuser Verlag und dem Haus der Architektur eingeladen hatten. Mit dabei Nicole Schwarz, Presse- und Marketingverantwortliche für den Bereich Kunst- und Architektur im Birkhäuser Verlag, die wir im Anschluss zum Gespräch trafen.
Sie sind Designerin mit dem Schwerpunkt visuelle Kommunikation. Wie kamen Sie zum Verlagshaus de Gruyter zu dem seit 2012 auch der Birkhäuser Verlag, der Deutsche Kunstverlag und der Berliner Architekturverlag Jovis gehören?
Durch den Neuzugang des Jovis Verlags 2019 wurde 2020 eine interne Kunst- und Architekturgruppe gebildet. Vor rund zwei Jahren betraute man mich mit der Leitung eines kleinen Teams von vier Leuten für Social Media, Presse und Marketing. Seither lerne ich mit jedem Buch, das erscheint, mehr über Architektur und erlebe, dass mir dieses Genre sehr naheliegt. Aus dem kreativen Gewerbe kommend, versteht man einander wohl einfach schon vom Mindset her.
Während der GAT Veranstaltung auf den Architekturtagen 2024 wurden Videos gezeigt, in denen in kurzen Autor:innen-Interviews Neuerscheinungen vorgestellt werden. Wie entstand diese Idee?
Als es in der Coronazeit weder Messen, Konferenzen noch Buchpräsentationen stattfanden, standen wir vor dem Problem, die Menschen nicht erreichen zu können. Meine Kollegin Sorana Radulescu, die an der TU Graz studiert hatte und Armin Stocker hatten die Idee, Videos zu machen. Die TU Graz verfügte über einen neuen Videobereich, Überlegungen trafen aufeinander, und die Umsetzung startete. Studierende der TU Graz entwickelten die Fragen, wir als Verlag schufen die Rahmenbedingungen und stellten die Kontakte her.
Die Videos informieren erfrischend direkt über Bücher und Autor:innen, zu denen man üblicherweise ja nur im Klappentext Näheres erfährt. Wird diese Serie fortgesetzt?
Es gibt vorerst diese erste Staffel von sieben Videos. Wir überlegen als nächstes möglicherweise ein anderes Format. Aber erst einmal wollen wir sehen, wie dieses ankommt.
Man hört viel von Verlagen in der Krise. Wie nehmen Sie das wahr?
Die Krise gibt es. Es werden weniger Bücher gekauft als vor 30 Jahren, die Auflagen sind geringer, die Papierpreise steigen. Birkhäuser bringt jedes Buch auch in digitaler Variante heraus, was im akademischen Kontext durchaus erfolgreich ist. Aber Architekt:innen und Künstler:innen sowie Kunst- und Architekturinteressierte legen nach wie vor viel Wert auf das gedruckte Buch. Bücher werden also weiterhin gekauft, und es wird sogar noch mehr Wert darauf gelegt, sie zu besitzen.


Ein schönes Kunst- oder Architekturbuch will man also lieber in der Hand halten?
Durchaus. Ein Verlag muss einfach ein Gespür dafür entwickeln, was funktioniert. Hier macht Not erfinderisch. Also nimmt man ein etwas günstigeres Papier, widmet sich vermehrt der Gestaltung oder verwendet eine besondere Schrift. Auch wenn die Buchpreise steigen, setzen wir auf Qualität.
In einem Film über Umberto Ecos umfangreiche Bibliothek sagt Eco: „Wir wissen nicht, wie lange die elektronischen Trägermedien aushalten. […]. Alles Gesagte, das im Umlauf ist, wird aufgezeichnet. Und weil wir wissen, dass es aufgezeichnet wird, haben wir nicht mehr das Bedürfnis, es uns zu merken. Zu viele Dinge zusammen machen viel Lärm. Lärm ist aber kein Instrument des Wissens. Bibliotheken sind das gemeinsame Gedächtnis der Menschheit.“ Er führt auch das haptische Moment an, die Möglichkeit der Lesezeichen und Notizen. Wie denken Sie über Ecos digitale Skepsis und seine Definition der Bibliotheken bzw. der auf Papier gedruckten Bücher?
Man meint ja, dass die ältere Generation mehr an ein gedrucktes Buch gewöhnt ist. Es ist eine fast emotionale Beziehung. Man kann es anfassen, wenn man über die Seiten streicht, sogar die einzelnen Buchstaben ertasten. Heute, wo übermäßig vieles digitalisiert ist, hat ein gedrucktes Buch einen anderen Stellenwert. Selbst Jüngere spüren diese Faszination – es scheint ein menschliches Bedürfnis zu sein. Auch der Wunsch, etwas besitzen zu wollen, kommt hinzu. Ich selbst habe viele Bücher, nur weil sie schön sind. Zwar kann ich nicht genau sagen, wo im Regal sie stehen, weiß aber, wie die Seiten aussehen. Vor allem, wenn man da und dort eine Stelle mit Bleistift markiert hat, baut man eine andere Verbindung zu ihnen auf – zu bestimmten Büchern jedenfalls. Bücher wirft man auch nicht gerne weg. Heute ist selbst, was die Römer in Stein gemeißelt haben noch lesbar, ebenso wie Bücher aus dem 14. Jahrhundert. Digitalisiertes hingegen wird irgendwann vergangen sein.
Welchen Anteil an der Verlagsarbeit hat Künstliche Intelligenz (KI)?
Dieses Thema beschäftigt uns sehr. Wir sind in engem Kontakt mit den Autor:innen und es gibt Tools, die erkennen, ob Textteile KI-generiert sind. Dennoch kann KI nützlich sein, etwa bei hohen Übersetzungskosten. Wir kommunizieren deren Anwendung transparent und sehen uns der Qualität verpflichtet. KI löst bei manchen die Befürchtung aus, sie könnte den Beruf der Lekotor:in verdrängen. Den persönlichen Schreibstil unserer Autor:innen zu ersetzen, wird ihr aber nicht gelingen.
Sucht der Verlag aktiv nach neuen Autor:innen und Themen?
Meist erhalten wir Manuskripteinreichungen, die unser Lektorat prüft, danach wird gemeinsam besprochen und entschieden, ob ein Buch Potenzial hat. Wir versuchen zu beantworten, ob das vorgeschlagene Thema in einem Jahr noch relevant sein wird, ob es zum Image des Verlags passt. Zudem schätzt der Vertrieb die Marktfähigkeit ein. Dabei ist es wichtig, die Konkurrenz im Blick zu haben und die Anzahl der bereits erschienenen Bücher zum Thema. Das Renommee einer Autor:in spielt ebenso eine Rolle. Nur selten dauert eine Entscheidung dann doch zu lange und ein anderer Verlag ist schneller am Thema dran.


Benötigt die Planung eines Buches viel Vorlaufzeit?
Verlagsarbeit braucht generell Zeit. Aber unsere Mitarbeiter:innen sind in der Szene gut vernetzt und mit den Architekt:innen in Kontakt, das hilft um rechtzeitig neue Themen zu erkennen. Das große Netzwerk an Personen aus der Community ist hilfreich, um etwa Manuskripte inhaltlich zu verbessern. So entstehen Bücher auf Augenhöhe zwischen Verlag und Autor:in.
Wie lange braucht es von der Idee bis zum Erscheinungstermin eines Buches?
In der Regel etwa ein bis zwei Jahre. Es kommt darauf an, wie gut und wie weit das Manuskript schon gediehen ist.
Gibt es international Unterschiede im allgemeinen Leseverhalten und Interesse an Architekturthemen?
Wir bemerken, dass das Thema Architektur weltumspannend ist. Dennoch gibt es nationale Eigenheiten. In Frankreich etwa müssen Bücher auf Französisch erscheinen, der asiatische Markt wiederum kauft ganze Architekturpakete für seine Bibliotheken ein. Man kommt also nicht umhin, sich dem Markt anzupassen.

ISBN-978-3-0356-2624-7

Foto: Birkhäuser Verlag
Bei Birkhäuser ist jüngst ein Buch über Denise Scott-Brown erschienen. Gilt der Rolle der Frau in der Architektur oder dem Feminismus heute höhere Aufmerksamkeit? Und wie relevant ist das für das Verlagsprogramm?
Sehr relevant. Das Thema ist uns ein großes Anliegen. Wir bemerken auch, dass man sich vermehrt auf Frauen bezieht, so etwa im Buch „Frauen bauen Stadt“ oder der Publikation über Denise Scott Brown. Es gibt mehr Autorinnen und Alleinautorinnen – selbst kollektive Projekte sind geschlechter-ausgewogener. Es gibt tolle Entwicklungen. Und falls eine Monografie etwa über ein traditionelles, meist noch männergeführtes Architekturbüro, erscheinen soll, bemühen wir uns darum, dass zumindest auch eine weibliche Perspektive eingebracht wird. Ich bin aber sicher, da geht noch mehr.
Und wie bringen Sie als Head of Communication die Neuheiten in die Welt?
Einerseits ganz klassisch mit einem Presseverteiler. Über Neuerscheinungen informieren wir über Newsletter, Website oder Social-Media-Kanäle. Ich schätze aber vor allem eine persönliche Beziehung zu Menschen. Wir versuchen anzuregen, dass Leute miteinander interagieren. Hier kommt auch die Generationenfrage mit ins Spiel, mit der Überlegung, etwa einen eigenen Tik-Tok-Kanal zu öffnen, um Bücher besser herzeigen zu können. Es ist ein stetes Ausloten zwischen gewohnten Herangehensweisen und dem Entdecken neuer Territorien.
Das Verlagsprogramm umfasst die Themen Architektur, Landschaftsarchitektur und Design. Welchen Bezug haben Sie persönlich zu Architektur?
Architektur ist für mich eine Ganzkörpererfahrung. Sie berührt mich in meiner Wahrnehmung und beeinflußt mein Wohlbefinden. Das gilt auch für Design: Der Mensch ist das Maß aller Dinge.
Leider fehlt vielen die Wahrnehmung für das, was baulich um uns herum geschieht.
Da gibt es ein Zitat des Typografen und Grafikdesigners Kurt Weidemann: „Gute Typografie bemerkt man so wenig wie gute Luft zum Atmen. Schlechte bemerkt man erst, wenn es einem stinkt“. So ist es auch in der Architektur. Wenn man sich in einem Raum, einer Architektur, einfach nur wohlfühlt ohne darüber nachzudenken zu müssen, dann ist es gelungene Architektur.
Zu den Interviews auf youtube.
Beitrag verfasst im Auftrag von GAT.news