„Jede Minute wird in Europa ein Gebäude abgerissen“, mit dieser einprägsamen Tatsache beginnt der Dokumentarfilm „Power to Renovation: A Question of Values“, in dem Expert:innen aus ganz Europa die Schattenseite der Immobilienspekulation mit Abriss und Neubau aber auch die Bedeutung von Renovierung und Umbau als echte Alternative bewerten und erkläre, wie es gelingen kann, durch Aktivismus und direkte Demokratie unser Wertesystem zu verändern.
Ein klares Ja zu Renovierungen steckt auch hinter der Gründungsidee der Bürgerinitiative House Europe!, die eine Überzeugungskampagne gestartet hat, um eine schnellere, leichtere und billigere Renovierung von Gebäuden publik zu machen und Zerstörung sowie Neubau schnellstmöglich zu stoppen.
Das Recht auf Bestand
HouseEurope! Ist eine europäische Bürgerinitiative, die erreichen möchte, dass Renovierungen und Umbauten einfacher, kostengünstiger und sozialer werden. Sie sieht den Abbruch bestehender Gebäude als ebenso überholt an, wie Lebensmittelverschwendung, Tierversuche und Einwegplastik. Sie fordert faire EU-Gesetze und ein Recht auf Wiederverwendung für bestehende Gebäude und basiert auf drei Elementen: Steuerermäßigungen für Renovierungsarbeiten und wiederverwendeten Materialien, auf fairen Regeln für die Begutachtung der Risiken und Potenziale bestehender Gebäude und auf neuen Werten für das in Bestandsgebäuden gebundene CO2.
Altbauten zeugen nicht nur der historischen Entwicklung unserer Städte, sondern sind auch Speicher jener „grauen“ Energie, die einst zu deren Errichtung notwendig war, und gleichzeitig das eingesetzte Material als Potenzial für die Zukunft verfügbar macht. Dennoch und gegen alle Argumente für Erhalt oder Wiederverwertung wird Bauzubstanz weiterhin zum Abbruch frei gegeben. Weder der Verlust leistbaren Wohnraums, noch die Verschwendung von Energie oder der Verlust der Geschichte haben eine entscheidende Rolle in unserem Wertesystem. Meist bestimmen Profit und Rendite, was erhalten und was abgebrochen wird.
Eine Idee wären Steuererleichterungen, wenn saniert wird anstatt neu zu bauen. Es muss günstiger sein, zu sanieren, zu renovieren und zu erweitern als ein Bau auf der grünen Wiese. (Barbara Metz, Executive Director Environment Action Germany)
Für eine Richtungsänderung
HouseEurope! geht es nicht nur darum einzelne Bauwerke zu retten, sondern um eine dringende, allgemeine und gemeinsame Richtungsänderung im ewigen Kreislauf der Demolierungen. Erhalten, Renovieren und den Bestand zu stärken, bedeutet auch zu verstehen, wie das System der Immobilieninvestoren funktioniert, wie das kontinuierliche Neubauen unser Ökosystem dramatisch beeinflusst, ökonomisch wie ökologisch. Und wie dadurch schließlich nicht nur das Aussehen unserer Städte verändert, sondern auch unser Wohnraum, unser soziales Umfeld, unser Zusammenleben davon beeinflusst wird.
Es ist mittlerweile hinlänglich bekannt, dass der Bausektor der größte Verursacher von CO2 Emissionen ist. Dennoch werden weiterhin voll funktionstüchtige Bauten abgerissen und durch Neubauten ersetzt, nicht aus Notwendigkeit sondern aus reiner Profitgier.
Jedes Jahr wird Abbruchmaterial von tausenden Häusern und Millionen von Quadratmetern Bestandsfläche im Müll entsorgt. Dass der Bausektor zu einem der größten Müllverursacher zählt, ist längst allen klar. Die Konsequenzen werden nicht wahrgenommen und haben dennoch Auswirkungen auf unser Leben – es wird viel zu wenig gegengesteuert.
Die Frage ist immer, wer dafür bezahlt. Sehr eigenartig, dass niemand danach fragt, wenn es um Krieg geht oder um eine Pandemie, dann müssen wir die Wirtschaft nationalisieren und wir tun es, eine nationalisierte Ökonomie und niemanden kratzt es. (Anne Pettifor, britische Ökonomin)
Den Bausektor revolutionieren
Abbruch und Neubau von Gebäuden zerstören auch die soziale Durchmischung der Stadt, ihre Diversität und Heterogenität. Wenn bestimmte Quartiere abgerissen werden, in denen sich die Menschen den Wohnraum gerade noch leisten können, riskiert man mit der Zerstörung des Bestands, dass viele Bewohner:innen nicht mehr über die finanziellen Mittel verfügen, auch weiterhin dort leben zu können. In den Bauten steckt viel Lebenszeit, Emotionalität, gesellschaftlicher Zusammenhalt und Erinnerungen – nicht zuletzt auch deshalb engagieren sich immer mehr Menschen gegen deren Abriss, durch den CO2 verpufft, das einst zu deren Errichtung eingesetzt wurde.
Die herrschende neoliberale Logik hat sich zum Ziel gesetzt, Profit zu maximieren. Gebäude beinhalten aber auch eine kulturelle Komponente, die für die Geschichte einer Gesellschaft wichtig ist. Längst braucht es einen Perspektivwechsel. Denn in diesem System, dass über viele Jahrzehnte entstanden ist, liegt der Fokus auf dem Neubau. Selbst Fördergelder werden im Wesentlichen dem Neubau zugeteilt.
Die Initiative setzt sich für die Revolutionierung des Bausektors ein. Es sollte neu gedacht werden, wie wir Elemente zusammenfügen, um sie auch wieder demontieren zu können. Ein erster Schritt wurde mit dem Green Deal getan, als strategische Ausrichtung über alle hinweg also politisch. Als 2. Schritt hat man sich im Rahmen des Klimagesetzes rechtsverbindlich auf die Klimaneutralität bis 2050 geeinigt. Ein 3. Schritt ist die Umsetzung und ein Teil davon war die European Renovation Wave, in der die Dekarbonisierung des europäischen Gebäudebestandes in Angriff genommen wird mit dem Ziel, die Renovierungsrate zu verdoppeln.
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