Eine umfangreiche Werkschau des deutschen Allroundkünstlers Tobias Rehberger zeigt das Kunstmuseum Stuttgart mit »I do if I don’t« bis 28. August 2022.
In seinen farbenfrohen Raumgestaltungen setzt Rehberger häufig DazzleTapeten ein, die Camouflage- und Blendeffekte erzeugen und die Raumgrenzen aufzulösen scheinen. Durch die Bewegung verändert sich die Raumwahrnehmung, die räumlichen Strukturen geraten aus den Fugen. Seine Installationen erinnern an die Wahrnehmungsexperimente der Op-Art. Die Stuttgarter Ausstellung vereint zentrale Werkgruppen und Themenkomplexe seines Schaffens – angefangen bei einer im Jahr 1995 begonnenen Porträtserie bis hin zu eigens für die Ausstellung entwickelten, ortsspezifischen Installationen.
Zu Künstler und Werk
Tobias Rehberger (*1966 in Esslingen) ist Professor an der Städelschule in Frankfurt am Main, wo er selbst von 1987 bis 1992 bei Thomas Bayrle und Martin Kippenberger studierte. Für seine Werke bedient er sich verschiedener Konzepte und Ideen aus Architektur, Design und Musik. Er verbindet unterschiedliche Medien und Genres miteinander, die Grundlage seiner künstlerischen Praxis ist dabei stets die Bildhauerei. In seinen raumgreifenden Arbeiten und ortsspezifischen Objekten befasst er sich häufig mit den Begriffen der Funktionalität und der Benutzbarkeit.
Etliche seiner Werke scheinen aufgrund ihrer farbenfrohen, poppigen und auffälligen Oberflächen sowie haptischen Materialität leicht zugänglich und unmittelbar verständlich. Erst bei eingehender Betrachtung erschließt sich deren ganze Tiefsinnigkeit und inhaltliche Komplexität. Rehbergers Arbeiten umkreisen Phänomene des Alltags und der kulturellen Unterschiede, thematisieren das weltumspannende Wirtschaftssystem oder erzählen Geschichten bestimmter Orte, verbunden mit Aspekten von Zeit, Raum und Geschwindigkeit. Der Künstler hinterfragt Vertrautes und Vorgefundenes, widmet sich dem vermeintlich Unfertigen, Unperfekten, dem von Hand Geschaffenen. Kunstwerke und Designklassiker werden ebenso wie triviale Alltagsgegenstände von ihm adaptiert und in minimal verfremdeter Form neu kontextualisiert; seine subtilen Eingriffe betreffen dabei die Größe, den Maßstab, das Material und die Oberfläche von Dingen. Manche seiner Ideen führen zu „Umwegen“ oder „Dis-Funktionen“ in seinen Skulpturen; so wird etwa den Arbeiten aus der Serie der „handicapped sculptures“ ein vermeintlicher Makel hinzugefügt. Rehberger stellt damit auch Fragen nach (Be-)Nutzbarkeit oder Zweckhaftigkeit von Kunst. Und der Künstler untersucht die Bedingungen von Form und Inhalt, Produktion und Autorschaft, Transformation und Umwidmung.
Zur Ausstellung
Zu sehen sind zentrale Werkgruppen Rehbergers, darunter viele, die er seit drei Jahrzehnten immer wieder neu und weiterdenkt, rekapituliert und modifiziert. Diese fortlaufenden Werkkomplexe arrangiert Rehberger neben, zwischen und in neue Arbeiten oder adaptiert sie an den jeweiligen Ausstellungsort, der sich dadurch verändert. Alles greift ineinander, die Übergänge zwischen den präsentierten Werken sind oft fließend.
Im Außenbereich wird die Ausstellung durch einergroße Lichtinstallation erweitert. Auf drei Geschoßen der Fassade zur Königstraße kombiniert der Künstler Schriftzüge und Formen aus zwei Lichtarbeiten: „Free coffee free parking freedom“, die er 2018 für das Rockbund Art Museum in Shanghai schuf, und ausgewählte Teile von „Paysage vu à travers un point d’observation“, entworfen 2016 für die 15. Ausgabe des Pariser Kunst- Stadtrundgangs „Nuit Blanche“. Von einem auf dem Vorplatz des Museums aufgestellten Pult aus, können einzelne Leuchtelemente angesteuert werden: Die Arbeit reagiert auf den Song, den man vom eigenen Smartphone über Bluetooth auf das Terminal überträgt und abspielt. Die Fassadeninstallation pulsiert zum Rhythmus der Musik. In der Dämmerung und bei Nacht entsteht eine außergewöhnliche Klang-Licht-Kulisse, deren Erscheinungsbild an eine gigantische Reklametafel erinnert, gesteuert von den Besucher*innen und Passant*innen im öffentlichen Raum. Diesem partizipatorischen Ansatz begegnet man auch in der Ausstellung. Betrachter*innen können sich punktuell aktiv einzubringen und mit Rehbergers Arbeiten interagieren.
Mit Tobias Rehbergers zum Teil raumgreifenden Arbeiten entstehen soziale und interaktive Orte des Zusammentreffens, die zum Verweilen einladen und dazu, miteinander in Kontakt zu treten. Das komplette Obergeschoss des Museums hat der Künstler als einen Begegnungs- und Erfahrungsraum gestaltet. Zentrale Arbeit ist hier das „Tee- Haus“, eine Raum-in-Raum-Inszenierung mit einem von der japanischen Tee-Zeremonie inspirierten Pavillon. Ergänzend hierzu realisierte er in den vergangenen Monaten mit seinem Frankfurter Studio verschiedene Skulpturen im 3D-Druckverfahren, die nicht nur mit Abstand betrachtet, sondern teilweise als Sitzmöbel und Tische genutzt werden können. Man kann hier sitzen, liegen, sich ausruhen, nachdenken, sich unterhalten. Auch Mahlzeiten und Getränke können konsumiert werden – eine eigens für die Ausstellung entworfene 3D-Keramik-Edition (Becher, Schüssel und Teller), gibt es inklusive Gericht oder Getränk zum Kauf.