Zwei Mal im Jahr finden im niederösterreichischen Weikendorf und dem dortigen Kunstraum Ausstellungen statt, die auf den Raum selbst oder auf die Gemeinde Bezug nehmen. Jede künstlerische Auseinandersetzung bereichert das Bild über die Gemeinde um eine weitere Facette, so auch die Fotografin Julia Gaisbacher.
Gaisbachers Bilder zeigen menschenleere Orte und doch spielen Menschen darin eine besondere Rolle, denn so sagte sie: „Gemeinsame Spaziergänge mit Mitgliedern der Jury haben mich auf bestimmte Blickachsen und Standpunkte aufmerksam gemacht, viel wurde mir über Vergangenes berichtet. Dadurch habe ich den Ort besser verstehen können, es war wie ein Blick ins Familienalbum eines Menschen, der andere Facetten sichtbar und die Gegenwart besser verständlich macht. So sind meine Bilder von Weikendorf entstanden, die beispielhaft für überregionale Entwicklungen stehen“.
Ihre Fotografien in Schwarzweiß zeigen Weikendorf aus abstrahierenden Blickwinkeln. Sie konzentriert ihren Blick dabei auf Gebautes, auf Architekturen, denen sie sich im Vorfeld durch aufmerksame Recherche annähert. In Weikendorf hat sie den in den vergangenen Jahren erfolgten Wandel des Ortskerns im Fokus und hierfür im Vorfeld historisches Bildmaterial aus dem Weikendorfer Archiv, Gespräche mit Bewohner:innen und ausgiebige Spaziergänge durch die Gemeinde unternommen, um die zahlreichen unterschiedlichen Veränderungen als Momentaufnahmen festzuhalten.
Spuren des Wandels
Wie in viele ländlichen Regionen haben sich auch in Weikendorf sämtliche Strukturen des täglichen Lebens und Lebensbedarfs seit den 1970er Jahren grundlegend verändert und sichtbare Spuren im Ortsbild hinterlassen. Höfe und Ladenlokale sind verschwunden oder zu Wohnräumen und Garagen umgebaut worden. Mehr und mehr hat sich das Leben in den Gemeinden verändert, zur Arbeit fährt man anderswohin teilte sich immer mehr zwischen der Arbeit anderswo. Das Dorfleben konzentriert sich vermehrt auf einzelne Ereignisse, wie Kirche, Vereine, Feste und weniger auf alltägliche Begegnungen bei Erledigungen vor Ort.
Inspiriert durch die fotografische Ästhetik des frühen 20. Jahrhundert in den USA, aber auch späterer Jahre in Österreich wie in Arbeiten von Elfriede Mejchar praktiziert liegt die Besonderheit dieser Bilder im Ausdruck einer gewissen Unverfälschtheit, die das eingesetzte strenge Schwarzweiß unterstützt und gleichzeitig auch durch fast abstrahierende Bildausschnitte verfremdet. Gaisbacher zeigt Häuser, Fassaden mit ausgeblichenen Schriftzügen, Durchblicke, verschachtelte Dachfragmente, Zäune, Spuren baulicher Veränderungen oder Überbleibsel vergangener Verwendungen. Sie wählt ihre Blickwinkel sehr sorgfältig aus und konzentriert sich mit dem historischen Ortskern auf jenen Teil Weikendorfs, an dem die Veränderungen über das Vorhandene sichtbar werden.
Die Schwarzweißfotos erschweren eine örtliche oder zeitliche Zuordnung niht zuletzt auch durch die gewählten Bildausschnitte. Gaisbacher gibt aber auch den Blick auf Details frei, auf Spuren vor Ort, denen sie Raum verleiht und dazu anregt, den Blick zwischen diesen räumlichen Verschachtelungen und Aneinanderreihungen schweifen zu lassen. Julia Gaisbacher mit ihrer Arbeit allgemeingültige Bilder geschaffen, die die dörfliche Entwicklung des ländlichen Raums illustrieren. Entstanden ist eine einfühlsame Mischung aus dokumentarisch anmutenden Bildern der kleinen Weinviertler Gemeinde, die ein ganz spezieller künstlerischer Blick kennzeichnet, der von Zeitlichkeit und Veränderung erzählt.
Bis 5. April 2025
Kunstraum Weikendorf, Rathausplatz 1, 2253 Weikendorf
www.koernoe.at
Julia Gaisbacher wurde 1983 geboren und lebt in Wien. Sie studierte Kunstgeschichte an der Universität Graz, anschließend Bildhauerei an der Hochschule für Bildende Künste Dresden sowie an der Sint-Lukas School of Arts in Brüssel. Ihre künstlerische Arbeit setzt sich in umfangreichen Recherchen und Langzeitbeobachtungen mit der urbanen Landschaft als menschlichem Lebensraum auseinander, wobei die Fotografie als Ausgangspunkt dient. Je nach Projektthema verwendet Gaisbacher Materialien oder Präsentationsformen, die sie bei ihren Recherchen zum Thema, zum Ort oder zum jeweiligen Zeitraum findet. Das Ergebnis sind Drucke, Installationen, Kunstbücher und Filme. Julias Gaisbacher wurde u.a. mit dem Theodor-Körner-Fonds-Preis 2021 und das Staatsstipendium für Fotografie des Bundeskanzleramtes Österreich 2020 ausgezeichnet. Ihr Fotobuch „My Dreamhouse is not a House“ erhielt 2023 die Bronzemedaille des Deutschen Fotobuchpreises.
www.juliagaisbacher.com