Wie wird man Hitler los? Eine Frage, die den deutschsprachigen Raum beschäftigt. Zwei Köpfe des Führers sind bereits den Besuch einer Ausstellung wert. Das Wiener Haus der Geschichte Österreich, das vor drei Jahren seine Pforten öffnete, ist immer wieder mit anonymen Schenkungen historischen Materials mit Bezug zum Nationalsozialismus konfrontiert, beginnend mit der leider weitbekannten programmatischen Schrift „Mein Kampf“ in zeitgeschichtlicher Ausgabe. Aber das Museum plant auch die Neugestaltung eines „verfluchten“ Bereichs.
Adolf Hitler kehrte 1938 als anderer nach Wien zurück. Nicht als der einfache Bürger, der als junger Mann aus dem nahe der deutschen Grenze gelegenen Braunau am Inn das ehrgeizige Ziel hatte, an die angesehene Akademie der bildenden Künste aufgenommen zu werden. Am Ende fiel er zweimal durch die Aufnahmeprüfung und musste sein Ansinnen aufgeben. Die Kunst hat an ihm zwar nichts verloren, aber ein paar Jahre später hat die Welt mit ihm den größten Verbrecher der Geschichte gewonnen. Er kehrte als charismatisches Oberhaupt Deutschlands nach Wien zurück, als „Führer“ der Nationalsozialisten, der einzigen gesetzlich zugelassenen Partei, deren ideologische Axiome auf Militarismus, Antisemitismus, der Verherrlichung der arischen Rasse und der Vorherrschaft über den Rest der Menschheit beruhten.
Am 15. März 1938 betrat Hitler, der seit sieben Jahren in Berlin an der Macht war, den monumentalen Balkon der Neuen Burg und besiegelte mit seiner Rede öffentlich den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich, Gründungsakt des so genannten Dritten Reiches. Zweihunderttausend Wienerinnen und Wiener waren auf den Heldenplatz vor das Gebäude geströmt, um den Diktator zu hören und zu bejubeln. Bereits drei Tage zuvor hatte er in einer öffentlichen Rede in seiner Lieblingsstadt Linz, die er als „Perle, die nur eine passende Fassung braucht“ bezeichnete, die geplante territoriale Annexion verkündet.
Von der Nachkriegszeit bis heute
Nach dem Ende der verbrecherischen Nazi-Diktatur und des im Abgrund versunkenen mephistophelischen Kults um ihren Führer, war die öffentliche und politische Nutzung des Balkons, der durch das Betreten Hitlers traurige Berühmtheit erlangt hatte, bis heute verboten – der verglaste Zugang blieb seither verschlossen. Die Direktion des Haus der Geschichte hat sich nun die Frage gestellt, ob es nicht an der Zeit sei, dieses Tabu zu brechen und dem Außenraum eine positive Zukunft zu erlauben. So ist ein freiwilliges, wenn auch durchaus fragwürdiges Referendum im Gange, um Meinungen über eine mögliche Nutzung auszuloten. Durch ein Zählwerk in Leuchtziffern werden in der Ausstellung in etwas übertriebener Leichtigkeit die Pro- und Kontrastimmen in Echtzeit transparent gemacht: Zurzeit überwiegen die Befürworter einer Wiedereröffnung mit mehr als fünfmal so vielen Stimmen wie deren Gegner.
Nazitum im Museum
Die Neue Burg wurde zum Museumsstandort, zu dem auch das Haus der Geschichte Österreich gehört. In einer weich geschwungenen Durchgangshalle, von der die berühmte Glastür auf den berüchtigten „Hitler-Balkon“ führt, wurde kürzlich eine dokumentarische Ausstellung eröffnet, die in ihrer Präsentation für die Öffentlichkeit eine Art psychodramatische Gruppentherapie in Szene setzt. Die Ausstellungsgestaltung ist unaufdringlich an die Einrichtung von Archivräumen angelehnt. Auf kleinen Arbeitstischen mit zugehörigen Sesseln sind dem Besucher in Glasvitrinen Originaldokumente und Exponate aus der Zeit des Nationalsozialismus zugänglich gemacht. Ein dramaturgisches Vis-à-Vis, ein Rückblick auf Leben, Politik, Bräuche, Propaganda und Gegenstände. Ausgestellt ist zum Beispiel das Mikrofon, mit dem der Führer den Anschluss an die Linzer Bevölkerung verkündete. Der ausgezeichnete Erhaltungszustand dieses Objekts, das möglicherweise nie wieder benutzt worden war, zeigt, dass es über viele Jahrzehnte hinweg als wertvolles Relikt betrachtet wurde. Neben den Vitrinen geben Erläuterungstexte auf einer Reihe leicht zugänglicher hölzerner Karteikarten Auskunft über die Exponate. Das Kurator:innenteam – Monika Sommer (Museumsdirektorin), Stefan Benedik, Laura Langeder – hat die Ausstellung auch mit einem Forschungs- und Dokumentationsbereich ausgestattet.
Von der Vergangenheit zur Gegenwart
Der Titel der Ausstellung „Hitler entsorgen. Vom Keller ins Museum“ ist nicht nur im symbolischen Sinne zu verstehen. Denn wenn der erste, doch sehr drastisch zu verstehende Teil „Hitler entsorgen“ dazu auffordert, den Müll der Vergangenheit zu beseitigen, lässt der zweite Satzteil die Möglichkeit zu, dass sich unter all dem Müll auch Material befinden könnte, das es wert ist, gerettet und ausgestellt zu werden. Diese Warnung zielt auf die Vielzahl von Dingen ab, die sowohl in öffentlichen Gebäuden als auch in Privathaushalten noch immer aufbewahrt werden. Eine gewisse Unsicherheit im Umgang damit zeigt, dass im Bewusstsein der Nachkriegsgenerationen die kathartische Unfähigkeit, sich klar und radikal zu lösen, noch immer fortbesteht. Die Bewertung solcher Funde ist dann meist eine Frage der Perspektive. Und was ist wirklich zu tun, wenn in Schränken, auf Dachböden oder in anderen Abstellräumen Materialien auftauchen, die die Zugehörigkeit von Angehörigen zu Kommandostrukturen wie der Gestapo oder der SS bezeugen? Die Soziologie der Gegenwart sagt uns, dass die Nörgelei über das historische Erbe auch ein anderes Gesicht hat, das sich in der Verlegenheit äußert, wie man unerwünschte Materialien diskret loswerden kann.
„Er“
Die Ausstellung bezeugt das Wiederauftauchen zweier Bronzeköpfe Hitlers, die aus einem der Keller des österreichischen Parlaments, das derzeit einer Generalsanierung unterzogen wird, geborgen wurden. Sie sind identisch modelliert, realistisch und ausdruckslos in ihrer Physiognomie, und werden beide seitlich auf ein und derselben Tischplatte liegend gezeigt. Diese beiden Exponate werden zwangsläufig zur Hauptattraktion der Schau, wenn auch die Kuratoren darauf geachtet haben, diesen Aspekt nicht gesondert zu betonen. Beide Köpfe werden durch Streiflicht beleuchtet, so dass das Gesicht im Schatten zu liegen kommt und nur der Hinterkopf gut zu sehen ist. Eine gestalterische Maßnahme, die die Bedeutung des Dargestellten auf ein Minimum reduziert. Und doch scheint gerade diese Lösung ein gewisser Stolperstein zu sein, der die Exponate hervorhebt, auch durch einen subtilen – unfreiwilligen? – Verweis auf Maurizio Cattelan’s hingebungsvollen und spöttischen „Kleinen Jungen“ (Him, 2001), eine einprägsame, Skulptur, die immer nur von hinten beleuchtet und in Rückenansicht gezeigt wird.
Die Diktatur des Zuschauers
Man könnte sich fragen, ob eine Ausstellung des Titels „Hitler entsorgen. Aus dem Keller ins Museum“, als taktische Alternative zur üblichen historischen Dämonisierung, die im Titel angeführte Person nicht gar zum Protagonisten einer neuen und noch nie dagewesenen Erzählung macht. Folglich werden dem Kunstpublikum oder dem Ausstellungsbesucher in der Rolle des Schiedsrichters und Richters der Geschichte unangemessene Kompetenzen übertragen. Mit anderen Worten: Inwieweit könnte Francesco Bonami Recht behalten, wenn er dem Kunstpublikum unbegrenzte Urteilsfähigkeit zuspricht, als er seine Kunstbiennale in Venedig 2003 mit „Die Diktatur des Zuschauers“ betitelt hat?
„Hitler entsorgen. Vom Keller ins Museum“,
Haus der Geschichte Österreich (hdgö), Neue Burg, Heldenplatz
www.hdgoe.at
Bis 9. Oktober 2022