„Nur mit urbanem Leben ist das Klima zu retten!“, meint der bekannte Klimaökonom Gernot Wagner. Der Wahl-Newyorker eröffnete mit einem überzeugten Plädoyer für eine verdichtete, grüne und autofreie Stadt, das gut besuchte Orte NÖ-Symposium „Bodenlos!? Wie wir den Raubbau am Gemeingut stoppen“, am 9. März in der NÖ Landesbibliothek.
Mit seiner vierköpfigen Familien lebt Wagner in einer 70 Quadratmeter großen Wohnung im Herzen Manhattans, in der die Kinder kein eigenes Kinderzimmer haben. Seine Lebenseinstellung „größer denken, kleiner wohnen, nicht als Aufopferung, sondern als Ideal und Ziel“, scheint für ihn selbstverständlich, vor allem in einer 10 Minuten-Stadt, die zu Fuß oder per Rad gut erschlossen ist.
Wohnraum für alle
„Wirkliche Dichte ist Teil der Lösung, sowohl in Sachen Klimaschutz als auch was den Bodenverbrauch anbelangt“, postuliert er. Technologien sollten dazu Verwendung finden, den Menschen das Stadtleben schmackhafter zu machen, denn Bodenschutz sieht er als Klimaschutz. Neben der Verbesserung der Lebensqualität, geht es dabei auch um die Bewahrung und Stärkung des Landes als Grünraum, als Rückgrat und Erholungsraum der Stadt. Dichte dürfe nicht nur für die Bauherrschaft profitabel sein, sie müsse auch für Jungfamilien leistbar und so gestaltet sein, dass man dort nicht aus finanzieller Not, sondern gerne wohnt. Das wirkliche Problem läge im Dazwischen, in jenen Zonen zwischen Stadt- und Land, mit der immer noch so beliebten Wohnform des Einfamilienhauses.
Auch der am 20. März veröffentlichte Synthesebericht des Weltklimarats IPCC stellt klar, dass die menschengemachten Auswirkungen des Klimawandels mit einer globalen Erwärmung weiter eskalieren werden, wenn nicht rasch gegengesteuert wird. Zahlreich sind bereits die Lösungswege, die das Desaster abfangen könnten, wie etwa ein Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas und ein Ende der Ver- und Zersiedelung.
Nach wie vor gehört aber das Einfamilienhaus zu den Lebensträumen der Österreicher:innen. Höchste Zeit, sich davon zu verabschieden. Bis 2030 soll laut österreichischer Klimaziele der Flächenverbrauch auf 2,5 Hektar pro Tag reduziert werden. Ein hehres, aber möglicherweise utopisches Ziel, wenn man bedenkt, dass derzeit noch 11,5 bis 13 Hektar Bodenfläche pro Tag versiegelt werden – eine Fläche von 16 und 20 Fußballfeldern. Zubetonierte oder asphaltierte Flächen nehmen weder Nährstoffe auf, noch kann Regenwasser versickern. In manchen Regionen wird bereits Grundwasser knapp, die Lebensräume für Tiere und Pflanzen schrumpfen, fruchtbarer Boden schwindet.
Ernährung für alle
Der Biologe Andreas Baumgarten, ein weiterer Vortragender des Symposiums, unterstreicht die wasserspeichernde Funktion fruchtbaren Bodens. Er sichert die Erhaltung unseres Lebensraumes und ist wichtiger Lieferant unserer Nahrungsmittel. Boden sei allerdings eine bedrohte Ressource. Zahlreiche Ursachen untermauern diese Befürchtung: Erosionsphänomene etwa durch Wind, Wüstenbildung im Süden Europas, Versauerung und Versalzung durch geringere Niederschläge, Diversitätsverlust. Als besonders kritischsten Faktor sieht Baumgarten hierbei den Bodenverbrauch. Höchste Zeit für eine neue Bewusstseinsbildung. Sein Appell richtet sich an Entscheidungsträger, eine erhöhte Wahrnehmung für Boden als endliche Ressource zu fördern – mittels Bildungsangeboten, Bodenpraktika, Kursen, Bodenbündnissen. Die örtliche Raumplanung sei hier gefragt, Maßnahmen zu setzen, Bautätigkeit zielgerichteter einzusetzen. „Wir gehen mit der Ressource Boden fahrlässig um“, lautet seine traurige Bilanz. Raumordungskonzepte sollten qualitativ hochwertige und ertragreiche Böden, die auch resistenter vor Klimaschäden sind, vor Bebauung schützen. Und Bautätigkeit sollte nur mehr im Gegenzug zu Entsiegelung möglich sein.
Freiheit für alle
Der Vorarlberger Verein für „Bodenfreiheit – Verein zur Erhaltung von Freiflächen“ hat sich eine ganz besondere Strategie zur Rettung vor der fortschreitenden Versiegelung zu eigen gemacht: Die Initiative, die jeder als Mitglied unterstützen kann, kauft strategisch wichtige Grundstücke oder erwirbt Nutzungsrechte für Flächen, um diese Grünflächen der Allgemeinheit zur Nutzung zur Verfügung zu stellen. „Freiflächen haben erst dann einen Wert, wenn sie auch wirklich von Bebauung frei bleiben“, wie der Obmann des Vereins Martin Strele in seinem Vortrag postuliert. Bildungsarbeit an Schulen etwa ermöglichten es, Kinder und Lehrer zu sensibilisieren. Und nicht zuletzt möchte der Verein mit seinen Aktionen die Menschen auch aufrütteln, ein wenig selbstkritischer mit dem Begriff des Eigentums umzugehen.
Ein Lichtblick im allgemein doch eher ernüchternden Gesamtbild, sind Projekte, die trotz aller Skepsis, zeigen dass Entsiegeln und Klimaanpassung wenn auch in kleinen Schritten doch umsetzbar scheint. Pia Knappitsch vom Planungsbüro 3:0 Landschaftsarchitektur stellte etwa eine im niederösterreichischen Lanzenkirchen realisierte Dorfplatz-Erneuerung vor. Anstelle des zentralen asphaltierten Parkplatzes, der sich nicht nur durch mangelnde Aufenthaltsqualität sondern auch durch Überschwemmungen und Überhitzungen auszeichnete, entstand ein unversiegelter Marktplatz. Unter dem Einsatz des Schwammstadtprinzips haben die neu gepflanzten Ulmen und Silberlinden nun genügend Wurzelraum. Im Ortszentrum entstand eine vielfältig nutzbare und weiträumige Versickerungsfläche, die nunmehr auch zur Kühlung des Platzes beiträgt.
Und wie so oft scheint uns die Schweiz auch hier einen Schritt voraus: Mary Sidler, die Schweizer Architektin und Stadträtin für Bau und Planung in der Kleinstadt Sempach, ist auf den haushälterischen Umgang mit dem Boden spezialisiert. Sie gab einen Überblick über die „bundesweite geordnete Besiedelung des Landes“. Seit der Novellierung des eidgenössischen Bundesraumordnungsgesetzes 2014 gibt es einen verbindlichen Schlüssel für Baulandwidmungen, die auf maximal 15 Jahre dimensioniert werden. Je nach Ausgangslage muss Baulandüberhang rückgewidmet werden. Siedlungen sind nach innen zu verdichten. Zu den Maßnahmen gehören etwa transparente Testplanungsverfahren, Machbarkeitsstudien, Ortsanalysen oder echte partizipative Verfahren. Sie sind aus den Prozessen der Innenentwicklung nicht mehr wegzudenken. Qualitätssichernde Instrumenten, die sich Österreich trotz unterschiedlicher Gesetzeslage zur Umsetzung hochwertige Baukultur durchaus zum Vorbild nehmen könnte.
Auch in Österreich scheint man auf Bundesebene langsam umzudenken. Brach liegende, leerstehende Bauwerke sollen eine neue Nutzung finden und den Neubau auf der grünen Wiese wenigstens zum Teil ersetzen. Gundula Prokop, Projektmanagerin am Umweltbundesamt für den Fachbereich Flächenmanagement, leitet den Brachflächen-Dialog. Dieser hat sich die Wiederverwertung ungenutzter Objekte und Flächen zur Aufgabe gemacht und möchte so einen Beitrag zur Reduktion des Bodenverbrauchs leisten. „40 km² werden jährlich in Österreich verbraucht. Geht es nach dem EU-Ziel im New Green Deal, dann ist bis 2050 ein Netto-Null-Landverbrauch zu erreichen“, betont Prokop. Sie bemerkt aber auch:„Brachflächen-Projekte sind zwar notwendig, werden das Boden-Problem aber nicht lösen. Dafür wird es fiskalische Instrumente brauchen, auch wenn die Politik dieses Thema nicht liebt.“
Als letzter Vortragender des Symposiums war Architekt Elias Molitschnig am Wort. Er ist im Amt der Kärntner Landesregierung für kommunale Bauvorhaben und Raumordnung zuständig, und gab einen Einblick in die Kärntner Baukultur. 2019 hat Kärnten seine eigenen baukulturelle Leitlinien entwickelt. Der Innenentwicklung wird darin Priorität eingeräumt. Gemeinden werden unterstützt, Leerstand zu aktivieren und ihre Ortskerne zu stärken. Sogar Lehrgänge in Baukultur und Raumplanung werden für Gemeindebedienstete und -mandatar:innen sowie für Planende angeboten – Vergleichbares wird demnächst im Burgenland umgesetzt und sollte hoffentlich baldigst auch in anderen Bundesländern Nachahmer finden.
Hoffnung für alle
Einige Beispiele in Niederösterreich geben, wie die abschließende Diskussionsrunde darlegt schon einmal Anlass zur Hoffnung, dass die längst angebrochene Zeitenwende bereits positiv genutzt wird: In Meiseldorf wird über eine Photovoltaik-Freiflächenanlage im ehemaligen Steinbruch Energie für die 750 Haushalte erzeugt. Tullns Bevölkerung ist mehrheitlich für die Entsiegelung und Neugestaltung des Nibelungenplatzes, obwohl dadurch Parkplätze entfallen werden. Mödling überlegt eigene baukulturelle Leitlinien für den behutsameren Umgang mit Bestand, Bauland und Grünflächen. Alle Vortragenden waren sich abschließend einig, dass effektiver Bodenschutz nur über eine enge Zusammenarbeit zwischen allen Fachbereichen möglich ist.Transparenz in Widmungs- und Planungsverfahren sei dabei unumgänglich.
Grundlegend ein Nachmittag voller interessanter Aspekte und inspirierender Ansätze. Solange jedoch etwa weiterhin das Einfamilienhaus aller Traum bleibt oder etwa im Wiener Donaufeld die Errichtung großflächiger Wohnsiedlungen auf kostbarsten ertrag- und humusreichen Böden durch die Stadt Wien vorangetrieben wird, scheint man noch immer nichts gelernt zu haben. In ländlichen Regionen braucht es innovative kollektive Mobilitätskonzepte, die es erlauben, auf das eigene Auto verzichten zu können. Es braucht dringend ein Umdenken in der Nutzung des Bestands, nicht nur in Hinsicht auf den steigenden Leerstand, dessen Erfassung in einem Leerstandskataster schon lange überfällig ist; Interessante Schritte will man etwa in Portugal setzen, um Leerstand und drastischen Wohnungsmangel zu bekämpfen – der Staat denkt daran, einzuschreiten und langfristig leer stehende Wohnungen zwangsweise günstig zu vermieten.
Solange Bestandsbauten – ungeachtet des Faktors graue Energie – aus Rentabilitätsgründen nicht energetisch ertüchtigt, sondern durch lukrativere Neubauten ersetzt werden, bleibt ein Erreichen der Klimaziele eine unerfüllbare Wunschvorstellung. Die nächsten Generationen werden die aktuell viel zu zaghaften Schritte zu büßen haben.
Vielleicht ist ja irgendwann ein Leben auf dem Mars möglich – eine zweite Erde gibt es jedenfalls nicht!
Das Symposium gibt es zum Nachhören auf www.orte-noe.at/pinnwand